Schewardnadse im Interview:"Auf Honecker hat niemand geachtet"

Der ehemalige sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse über den Moment, in dem Michail Gorbatschow die deutsche Einheit billigte.

F. Nienhuysen

In den Hügeln über Tiflis, die Residenz von Eduard Schewardnadse. Man merkt, dass es einige Mordanschläge auf ihn gegeben hat. Mehrere Wachmänner öffnen eine schwere, blickdichte Eisentür, behalten den Pass und das Handy, durchsuchen akribisch die Tasche. Der 81-Jährige hatte als georgischer Präsident daheim einige Feinde; in Deutschland ist sein Ansehen ungebrochen. Er war der sowjetische Außenminister im Wendejahr 1989, er half auf dem Weg zur deutschen Einheit. Am 6. Oktober reiste Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow in die DDR, die am 7. des Monats ihren 40. Jahrestag feierte - die Menschen aber feierten Gorbatschow. Die Wände von Schewardnadses Arbeitszimmer sind gesäumt mit Fotos, die ihn mit Ronald Reagan zeigen, George Bush sen., Hans-Dietrich Genscher - und Stevie Wonder.

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(Foto: Foto: dpa)

SZ: Bedauern Sie im Nachhinein, dass Sie damals nicht selber dabei waren?

Eduard Schewardnadse: Nein. Ich bin durch so viele Länder gereist. Ich weiß nicht einmal genau, wo ich damals eigentlich war. Und Gorbatschow hat mir ja alles erzählt. Die Menschen kreischten "Gorbi!, Gorbi!" Sie sahen in Gorbatschow den Organisator der Perestroika, der Demokratisierung. Auf ihn haben sie geschaut. Auf Erich Honecker hat niemand geachtet. Er fühlte sich sogar beleidigt.

SZ: Gorbatschow sagte damals sinngemäß, wer zu spät komme, den bestrafe das Leben. Hatten Sie Angst, die Kontrolle über die Ereignisse in der DDR zu verlieren, wenn Honecker nicht reformieren würde?

Schewardnadse: Die Gefahr bestand. Honecker hat unsere Perestroika nicht anerkannt. Er meinte, die Sowjetunion verstehe einfach nicht, in welcher Lage sich Ostdeutschland befinde. Honecker dachte, es gebe nichts zu verändern, er errichte den Sozialismus. Wir wussten, dass er unsere Ideen nicht unterstützt. Unser Botschafter in Berlin hat uns ja zwei, drei Mal pro Woche informiert.

SZ: Und Sie konnten ihn nicht überzeugen?

Schewardnadse: Honecker hatte seine Prinzipien, seine Ideologie, seine Philosophie. Es waren alte Vorstellungen über den Sozialismus. Wir bauten derweil einen neuen, mit anderen Prinzipien, mit menschlichen, demokratischen. Wir hofften, früher oder später würde die DDR dem Beispiel der Sowjetunion folgen.

SZ: War Ihnen bewusst, dass die Existenz der DDR auf dem Spiel steht?

Schewardnadse: Solche Gedanken waren da. Ich wusste, dass sich früher oder später die Frage einer unvermeidbaren deutschen Einigung stellen würde. Ich habe die Gedanken mit niemandem geteilt, mich mit niemandem beraten. Ich habe nur für mich so gedacht. So wie ich auch überlegte, wie lange die Sowjetunion wohl fortbestehen würde. Vielleicht noch zehn, zwölf Jahre. Danach würde der Zusammenbruch der Sowjetunion beginnen. Ich habe mich geirrt. Es begann früher.

SZ: Gorbatschow hat während der Spannungen in der DDR befohlen, dass die dort stationierten sowjetischen Truppen in ihren Kasernen bleiben sollten. Wie groß war der Widerstand im Militär?

Schewardnadse: Als unser Botschafter uns anrief, dass die Deutschen schon die Mauer niederreißen, entstand die Gefahr, plötzlich könnte die Armee entscheiden und von den Deutschen verlangen, damit aufzuhören. Damals stand ja eine halbe Million sowjetischer Soldaten im Zentrum Deutschlands, bis an die Zähne bewaffnet. Es hätte eine Situation entstehen können, in der sich die Truppen einmischen und ein Krieg beginnt. Um dies zu vermeiden, bin ich mit Gorbatschow nach Berlin geflogen.

SZ: Ein Kommandeur, der die Nerven verliert, hätte eine Eskalation ausgelöst.

Schewardnadse: Genau das war uns bewusst. Die Gefahr bestand. Aber konkrete Anzeichen hatten wir nicht.

SZ: Hatten Sie und Gorbatschow stets dieselbe Ansicht zur deutschen Frage?

Schewardnadse: Im Prinzip war ich immer davon überzeugt, dass die deutsche Einheit kommen wird. Gorbatschow ist diese Frage oft gestellt worden, er ist ihr immer ausgewichen, sagte nicht ja und auch nicht nein.

Lesen Sie weiter, wer laut Schewardnadse entschlossener war, grünes Licht zur deutschen Einheit zu geben: Der Außenminister selbst oder Gorbatschow.

"Zeit, über die Einheit nachzudenken"

SZ: Aber im Februar 1990 hatte er gegenüber Helmut Kohl dann doch die Einheit zugestanden. Welchen Anteil hatten Sie dann eigentlich noch selber?

Schewardnadse: Es war beim Außenministertreffen in Ottawa. James Baker (damals US-Außenminister; Anm. d. Red.) setzte sich neben mich und sagte: "Eduard, ist es nicht Zeit, über die deutsche Einheit nachzudenken?" Ich sagte: "Darüber denke ich schon lange nach. Wir müssen handeln, irgendwelche Entscheidungen treffen. Was denkt Genscher?" Er sei einverstanden, antwortete Baker, "aber das Wichtigste ist Gorbatschows Meinung". Stimmt die Sowjetunion zu, würde der Zwei-plus-Vier-Prozess beginnen. Ich ging aus dem Zimmer und rief ihn an. "Was ist Ihre Meinung?" Gorbatschow sagte: "Eduard, was denkst du?" Ich erzählte ihm, ich fände es schon lange an der Zeit, auf die Einheit einzugehen. Gorbatschow dachte nach, schwieg zwei, drei Minuten. Schließlich erklärte er sich einverstanden, danach begannen die Zwei-plus-Vier-Gespräche.

SZ: Ihnen war also alles viel früher klar als Gorbatschow?

Schewardnadse: Ich sagte Ihnen nicht zufällig, dass er Fragen zu einer deutschen Einheit auswich. Aber wäre er dagegen gewesen, hätte er nein gesagt.

SZ: Sie waren entschlossener.

Schewardnadse: Das kann man sagen.

SZ: Wäre es aus heutiger Sicht besser gewesen, wenn Moskau diese Position früher deutlich gemacht hätte? Und nun nicht dastünde als eine passive Macht, die vor 20 Jahren von den Ereignissen überrollt wurde?

Schewardnadse: Gorbatschow war ja nicht der einzige Anführer. Es gab noch andere Mitglieder des Politbüros. Einige waren mit uns einig, andere waren dagegen. Einige meinten, wir dürften Deutschland nicht verlieren. Gorbatschow hat ja nicht zufällig so manövriert, wenn er nach der Einheit gefragt wurde. Es gab ja später auch andere Probleme: zu welchen Bedingungen die Einheit vollzogen würde, was mit dem Warschauer Vertrag passiere. Genscher bestand darauf, dass das vereinte Deutschland in der Nato bleiben müsse. Bei uns gab es dagegen Widerstand.

SZ: Was hat Gorbatschow seinen Gegnern gesagt, wie ist er aufgetreten?

Schewardnadse: Gorbatschow hat seine Meinung nicht offen gesagt.

SZ: Er schwieg im Politbüro?

Schewardnadse: Er schwieg, aber das hieß nicht, dass er früher oder später mit der Einheit einverstanden gewesen wäre.

SZ: Und nun, 20 Jahre später, hätten Sie gedacht, dass es in Deutschland so viele Schwierigkeiten geben würde?

Schewardnadse: Ich finde, alles ist recht ordentlich verlaufen. Auch dass Angela Merkel gerade die Wahl gewonnen hat - und nun eine Koalition eingeht mit der Partei von Genscher.

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