Sauerland-Prozess:Die Terroristen-Spielschar

"Wie die Blinden": Die Mitglieder der Sauerland-Gruppe planten verheerende Anschläge im Namen Allahs - ohne allerdings viel vom Islam zu wissen.

Hans Leyendecker

Warum Atilla sich im Türkischen mit einem "t" und zwei "l" schreibt, wie viele Spieler sich bei einem Kick der F-Jugend auf dem Fußballplatz befinden und wie es wohl eines Tages beim Jüngsten Gericht zugehen mag; über vieles Wichtige und Unwichtige wurde am Donnerstag im Großen Sitzungssaal des Düsseldorfer Oberlandesgerichts gesprochen.

Angeklagt: Atilla Selek ; dpa

Angeklagt: Atilla Selek

(Foto: Foto: dpa)

Dann stellte der Vorsitzende Richter Ottmar Breidling an diesem 21. Verhandlungstag doch die Frage, die sich schon lange aufdrängt: Wie konnten junge Leute, die "vom Islam eigentlich keine Ahnung hatten", verheerende Anschläge in Deutschland planen "und sich dabei auf den Islam berufen?" Ruhig fügte der Richter hinzu: "Wie die Blinden." Und: "Bitte missverstehen Sie mich nicht".

"Schon leichtsinnig"

Vor ihm sitzt der Angeklagte Atilla Selek, 24, der Mann, der die Zünder für die Autobomben besorgen sollte. Der gelernte Fahrzeuglackierer stottert. Am Mittwoch nach der Verhandlung hatte er erneut im Koran geblättert, aber das hilft ihm jetzt auch nicht. Eine überzeugende Antwort fällt ihm nicht ein. Es sei "schon leichtsinnig gewesen", sich auf den Islam zu berufen, sagt er dann. Leichtsinn ist eine arge Verniedlichung für das Ungeheuerliche, das sie angeblich in Allahs Namen planten.

Alle vier Angeklagten haben vor Gericht gestanden, Selek war als Letzter an der Reihe. So unterschiedlich ihre Lebensbahnen vorher verlaufen sind, so ähnlich verlief ihre Hinwendung zur Religion: Erst wussten sie wenig oder nichts davon und dann glaubten sie plötzlich, alles zu wissen und im Koran alle Antworten auf Fragen zu finden, die sie sich früher nie gestellt hatten.

Eine terroristische Laienspielschar wurde zum Staatsfeind Nummer eins und sie unterscheidet sich auch sonst von den üblichen Metaphysikern des Terrors. Niemals zuvor haben deutsche Ermittler so detaillierte Schilderungen über die Ausbildung in Terrorlagern erhalten. Auch hat es einen solchen Einblick in das Innenleben einer Terrorgruppe bisher noch nicht gegeben.

Was ist von den Geständnissen zu halten und wie halten es die Angeklagten mit der Reue? Der Hauptangeklagte Fritz Gelowicz hat umfangreich gestanden, aber die Frage, ob der Weg des Dschihad der richtige ist, will er allein mit Allah ausmachen. Sein Kumpel Adem Yilmaz hat lange Exkurse über den falschen und den richtigen Dschihad gehalten - und hält ihn in Deutschland wohl für falsch.

"Konkret falsch" seien die Anschlagspläne in Deutschland gewesen, hat am Mittwoch der dritte Angeklagte, Daniel Schneider, gesagt. Und Selek mag zwar von der Brüderlichkeit der Verschwörer nicht lassen, distanziert sich aber entschieden vom Dschihad - zumindest in Deutschland.

"Wirre Zeit"

Er habe früh Zweifel, wenn auch nur schwache, an der Richtigkeit von Anschlägen gehabt und eigentlich einen Gelehrten fragen wollen, ob denn Attentate in Deutschland mit dem Islam vereinbar seien. Das hat der junge Mann, der ursprünglich mit der Kalaschnikow in Tschetschenien kämpfen wollte, dann nicht getan, sondern sich in die Türkei abgesetzt, um dort Zünder zu besorgen.

Selek macht große Unterschiede zwischen demjenigen, der er 2007 war, einer, der hoffte, dass die Anschläge verheerend sein würden, und dem Selek von heute, der von einer "wirren Zeit" spricht, wenn er sein Verhalten von damals beschreibt. Heute sagt er, dass "solche Aktionen nicht mit dem Islam vereinbar" seien.

Breidling wittert eine "taktische Aussage" und stellt noch zwei Fragen, die nicht nur das Gericht beschäftigen: Ob da draußen andere junge Leute, die auch vom Islam nichts wissen, Anschläge planen. Und wie der Angeklagte die Gefahr sieht, dass andere vermeintliche Gotteskrieger in Ausbildungslagern "fehlgeleitet werden". Er kenne solche Leute nicht, sagt Selek, aber man könne "schon leicht reinfallen".

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