Saudi-Arabien:Die Rechtlosen

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Wer in dem Königreich die Religion, die Regierung oder die Herrscherfamilie kritisiert, landet im Gefängnis.

Von Paul-Anton Krüger

Raif Badawi ist im Westen zweifellos der bekannteste unter den Häftlingen in Saudi-Arabien, die Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch als politische Gefangene einstufen. Doch er ist nur einer von weit mehr als einem Dutzend Aktivisten, die in dem ultrakonservativen Königreich aufgrund zweifelhafter Anklagen zu langen Haftstrafen oder gar zum Tode verurteilt worden sind - einem Land, das weder die in der universellen Erklärung der Menschenrechte verbriefte Meinungs- noch die Versammlungs- oder Religionsfreiheit achtet.

Badawis Anwalt Walid Abu al-Khair wurde im Juli 2014 zu 15 Jahren Haft verurteilt, weil er Menschenrechtsverletzungen angeprangert hatte. Ein Terror-Sondergericht befand ihn des "Ungehorsams gegenüber dem Herrscher" für schuldig und der "Schädigung des Rufs des Staates". Zudem wurde ihm die Gründung einer nicht genehmigten Organisation zur Last gelegt - ein Sammeltatbestand, der wie andere unscharf formulierte Passagen eines umstrittenen Anti-Terror-Gesetzes von 2014 das Vorgehen gegen Menschenrechtler und andere Aktivisten erleichtert. Denn in Saudi-Arabien eine Menschenrechtsorganisation zu registrieren, ist de facto nicht möglich.

Wegen Blasphemie droht Oppositionellen die Todesstrafe

Mit ähnlichen Verfahren überzog die Justiz Mitglieder der 2009 gegründeten Gruppe Saudi Civil and Political Rights Association, die ein Gericht 2013 für aufgelöst erklärt hat. Mindestens acht ihrer Aktivisten wurden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, gegen zwei weitere laufen noch Prozesse. Dem in Saudi-Arabien geborenen staatenlosen Künstler Ashraf Fayadh droht in einem separaten Verfahren wegen Blasphemie sogar die Todesstrafe.

Mit äußerster Härte geht die Justiz auch gegen führende schiitische Persönlichkeiten vor, denen die Beteiligung an Protesten gegen das Königshaus in der ölreichen Östlichen Provinz während des Arabischen Frühlings vorgeworfen wird. Im Oktober 2014 wurde der populäre Scheich Nimr al-Nimr zum Tode verurteilt; er habe "die Einmischung fremder Mächte" in Saudi-Arabien befördert und die Waffe gegen die Sicherheitskräfte erhoben, befand das Gericht.

Ebenfalls wegen Beteiligung an Protesten mit dem Tod bestraft werden soll sein Sohn Ali al-Nimr, zum Zeitpunkt der angeblichen Taten erst 17 Jahre alt, sowie mindestens fünf weitere Aktivisten. Zwei von ihnen sollen ebenfalls minderjährig gewesen sein. Ihre Hinrichtung wäre ein Verstoß gegen das UN-Übereinkommen zu den Rechten der Kinder, dem sich Riad anschloss. Berichte saudischer Medien hatten jüngst zu Spekulationen geführt, ihre Hinrichtung stehe unmittelbar bevor. Fadhil al-Manasif, ein weiterer Aktivist aus der Region, wurde zu 15 Jahren Haft verurteilt, weil er internationalen Medien bei der Berichterstattung über die Proteste geholfen haben soll.

Menschenrechtler werfen Saudi-Arabien vielfach unfaire Verfahren gegen Dissidenten vor, zudem Folter und Misshandlung in den Gefängnissen. 2015 hat das Land überdies bis November etwa 150 Menschen hingerichtet, überwiegend wegen Drogendelikten. Das übertrifft in der Region nur Iran, wo mehr als 800 Todesurteile vollstreckt wurden. Zudem kritisieren Menschenrechtler die systematische Diskriminierung von Frauen und den Umgang Saudi-Arabiens mit seinen acht Millionen Gastarbeitern.

© SZ vom 16.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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