Saudi-Arabien:Die gefährliche Strategie des saudischen Königshauses

al-Nimr

Eine Frau hält in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa ein Plakat mit dem Bild des saudischen Oppositionellen al-Nimr in die Höhe.

(Foto: dpa)
  • Die Hinrichtung des schiitischen Geistlichen und Oppositionellen Nimr Baqir al-Nimr könnte Saudi-Arabien destabilisieren.
  • Schiiten werden in dem mehrheitlich sunnitischen Land systematisch diskriminiert.
  • Auch außenpolitisch ist al-Nimrs Exekution brisant. Iran, Saudi-Arabiens Rivale um die Vormacht in der Region, versteht sich als Schutzmacht der Schiiten.

Von Christoph Meyer

Das Brüllen des Tigers ist verstummt

Mit der Massenhinrichtung von 47 zum Tode verurteilten Menschen hat das Regime in Saudi-Arabien internationale Kritik auf sich gezogen. Politisch brisant ist vor allem die Exekution des schiitischen Geistlichen und Oppositionellen Nimr Baqir al-Nimr. Der 56-jährige Ayatollah führte die Proteste der schiitischen Minderheit im Jahr der arabischen Revolutionen 2011 an. Dabei sprach sich al-Nimr, dessen Name "der Tiger" bedeutet, wiederholt gegen gewalttätige Proteste aus. Der BBC sagte er, er ziehe "das Brüllen des Wortes gegen die Obrigkeit den Waffen vor". "Die Waffe des Worts" sei "stärker als Kugeln." Nun ist das Brüllen des Tigers verstummt.

Al-Nimrs Hinrichtung verschärft die konfessionellen Spannungen innerhalb Saudi-Arabiens und den Konflikt mit Iran. Der Rivale Saudi-Arabiens um die Vormacht in der Golfregion versteht sich als Schutzmacht aller Schiiten.

Bis zu fünfzehn Prozent der Bevölkerung im Königreich der Saudis bekennen sich zum schiitischen Islam. Sie leben vor allem in den ölreichen Provinzen Al-Qatif und Al-Ahsa im Osten des Landes. Im benachbarten Bahrain, in dem es ebenfalls Proteste gegen das sunnitische Regime gab, stellen die Schiiten die Mehrheit der Bevölkerung.

Der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zufolge leiden die Schiiten in Saudi-Arabien unter systematischer staatlicher Diskriminierung. Nach Angaben der Aktivisten werden sie an der Ausübung ihrer Religion behindert, als "Ungläubige" verunglimpft und haben keinen Zugang zu Stellen im Öffentlichen Dienst. Das kritisierte Al-Nimr mit deutlichen Worten.

Nach seiner Verhaftung kommt es zu tagelangen Unruhen

Immer wieder war er verhaftet worden, zuletzt im Juli 2012. Al-Nimr glaubte nicht an einen Modernisierungsprozess aus der Regierung heraus. Ohne Druck werde sich das saudische Regime nicht verändern, vertraute er einem US-Diplomaten an.

Bei den saudischen Sicherheitsbehörden stand er im Verdacht, mit Iran zu sympathisieren. Al-Nimr hatte während seines Studiums mehrere Jahre in dem überwiegend schiitischen Land verbracht. Als es Anfang 2009 in der heiligen Stadt Medina im Westen Saudi-Arabiens zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen schiitischen Pilgern und den Sicherheitsbehörden kam, soll er in einer Predigt die Abspaltung der östlichen Provinzen erwogen haben. Sein Bruder Mohammed al-Nimr, der den Ayatollah nach seiner jüngsten Verhaftung juristisch vertrat, bestreitet das.

Bei seiner Verhaftung 2012 wurde Al-Nimr durch vier Schüsse in seine Beine schwer verletzt. Die Behörden gaben später an, er habe eine Waffe bei sich gehabt. Auch das bestreitet seine Familie. Sie klagte, der Ayatollah habe in der Haft keine angemessene medizinische Versorgung erhalten. Infolge der Verhaftung kam es in Al-Nimrs Heimatstadt Qatif zu tagelangen Unruhen, bei denen drei Menschen starben. Später wurde er wegen Kollaboration mit einer ausländischen Macht und "Ungehorsams gegenüber der Obrigkeit" zum Tode verurteilt.

Riad verfolgt mit der Hinrichtung des Ayatollahs eine gefährliche Strategie

Für Guido Steinberg, Golf-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, kommt die Hinrichtung Al-Nimrs überraschend, weil mit dem Geistlichen jemand umgebracht worden sei, von dem keine Gewalt ausging: "Da geht die saudi-arabische Regierung doch ein gutes Stück weiter, als in den letzten Jahren." Für die Schiiten im ölreichen Osten, von denen sich bislang keine militante Gruppe gegen Riad wende, sei das Urteil "eine Provokation".

Nach Ansicht Steinbergs ist die Massenhinrichtung vor allem eine Reaktion König Salmans auf die Bedrohung durch die Terrormiliz IS. Diese ist auf irakischem Gebiet bis an die Staatsgrenze der Monarchie herangerückt. Auch in Saudi-Arabien, das sich international gegen die Extremisten engagiert, sind IS-Anhänger aktiv. Die Terrormiliz hatte 2015 die Verantwortung für mehrere blutige Anschläge auf schiitische Moscheen übernommen.

Dass Al-Nimr und drei weitere Schiiten hingerichtet worden seien, solle der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit nach Ansicht von Experten wohl zeigen, dass die Regierung politische Gewalt beider Religionsgruppen gleichermaßen verfolge.

Die Regierung in Riad verfolgt damit nicht nur innenpolitisch eine gefährliche Strategie: In den Ländern des Nahen Ostens, in denen die Schiiten die größte Bevölkerungsgruppe darstellen, hat die Nachricht von der Hinrichtung des Ayatollahs teils zu wütenden Protesten geführt. In der irakischen Stadt Kerbela gingen am Samstag mehrere hundert Menschen auf die Straße, um gegen die Exekutionen zu protestieren. Auf Transparenten waren Drohungen gegen die sunnitischen Königshäuser in Riad und Bahrain zu lesen. Auch im Iran und in Bahrain kam es zu spontanen, teils gewalttätigen Protesten. Das iranische Außenministerium drohte, Saudi-Arabien werde "einen hohen Preis" für die Exekution al-Nimrs zahlen.

Noch am Abend stürmen Demonstranten das saudische Botschaftsgelände in Teheran und setzten Gebäude teilweise in Brand. Bilder und Videos davon sind in den sozialen Netzwerken im Umlauf.

(Mit Material von dpa und AFP)

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