Saudi-Arabien:Der Tabu-Brecher

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Lange war die Palästinenserfrage der gemeinsame Nenner in der arabischen Welt. Der saudische Kronprinz ist nun auch da ausgeschert: Er gesteht Israel das Recht auf ein eigenes Land zu.

Von Dunja Ramadan, München

Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman. Saudi-Arabien soll die Gespräche über eine Normalisierung der Beziehungen zu Israel beendet haben. (Foto: Rainer Jensen/dpa)

Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman ist in der Region nicht gerade für sein Taktgefühl bekannt. Als US-Präsident Donald Trump Anfang Dezember verkündete, dass er die amerikanische Botschaft nach Jerusalem verlegen werde, landete der 32-Jährige wegen einer völlig anderen Meldung in den Schlagzeilen. So soll er laut US-Medien wie der New York Times hinter dem Kauf des Leonardo da Vinci zugeschriebenen Gemäldes "Salvator Mundi" für die Rekordsumme von 381,3 Millionen Euro stecken. Das 500 Jahre alte Bild war Mitte November in New York versteigert worden. Nun könnte man sagen: Schlechtes Timing, dass die Nachricht ausgerechnet zur selben Zeit publik wurde wie Trumps Pläne, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen. Doch in der arabischen Öffentlichkeit stand die Neuigkeit sinnbildlich für Riads schwindende Solidarität mit den Palästinensern.

Es ist kein Zufall, dass der Kronprinz während seines US-Besuchs darüber spricht

Dabei galt die Palästinenserfrage lange Zeit als der letzte gemeinsame Nenner in der arabischen Welt, die sich sonst in vielen Fragen uneins ist. Doch diese Zeiten scheinen vorüber. In einem Interview mit dem US-Magazin The Atlantic sagte Mohammed bin Salman nun, dass auch Israel das Recht auf ein eigenes Land habe. Zwar habe Saudi-Arabien religiöse Sorgen wegen des Schicksals der heiligen Moschee in Jerusalem und wegen der Rechte der Palästinenser. Doch Israel sei eine große und wachsende Wirtschaftsmacht, und es gebe natürlich viele Interessen, die man miteinander teile. Damit sagt Mohammed bin Salman letztlich nur das, was seine Reaktionen bereits gezeigt hatten.

Während sich Führer muslimisch geprägter Staaten nach Trumps Jerusalem-Entscheidung zu Wort meldeten, schickte Saudi-Arabien zum Sondergipfel der Organisation für Islamische Kooperation (OIC), bestehend aus 57 muslimischen Staaten, keinen Repräsentanten nach Istanbul. Genauso wenig wie Ägypten, Bahrain, der Irak und Marokko. Was unter anderem daran liegt, dass der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan das Treffen einberufen hatte. Die Türkei pflegt enge Beziehungen zum Emirat Katar, das bei Saudi-Arabien und den restlichen Golfstaaten wegen der Unterstützung der Muslimbrüder in Ungnade gefallen ist. Doch auch der Beschluss der Arabischen Liga zur Jerusalemfrage ließ keine Taten folgen. Stattdessen äußerte Riad "große Enttäuschung" über Trumps Entscheidung; sie sei "ungerechtfertigt und unverantwortlich". Harsche Töne sind das nicht. Den obersten iranischen Religionsführer Ayatollah Chamenei nennt der Königssohn dagegen regelmäßig den "Hitler des Nahen Ostens".

In dem Interview sprach sich der saudische Kronprinz auch für ein Friedensabkommen aus.

Es ist kein Zufall, dass der Kronprinz während seines dreiwöchigen US-Besuchs auf dieses heikle Thema zu sprechen kommt. Er wirbt derzeit bei Unternehmern um Investitionen und stellt seine "Vision 2030" vor, die das Land wirtschaftlich und gesellschaftlich öffnen will. In den vergangenen Monaten hob er einige Verbote auf: Frauen dürfen in Saudi-Arabien von Ende Juni an Auto fahren, Kinos eröffnen, die Rechte der Religionspolizei wurden beschnitten.

Da die Amerikaner die wichtigsten Verbündeten Israels sind, hielt der Kronprinz es für geschickt, direkt vor Ort für Frieden mit Israel zu werben. Noch nie zuvor hatte sich ein derart hoher Vertreter des Landes auf diese Weise geäußert. Dabei ist es kein politischer Kurswechsel: Bereits 2002 hatte die Arabische Liga unter Federführung des früheren saudischen Königs Abdullah einen Friedensplan für den Nahostkonflikt vorgeschlagen: Der Staat Israel wird in den Grenzen von 1967 anerkannt, wenn sich Israel aus den palästinensischen Gebieten zurückzieht.

Israel lehnte das Angebot ab. Hinzu kommt, dass die Spannungen mit dem gemeinsamen Erzfeind Iran wachsen, die mit Teheran verbündeten Huthi-Rebellen in Jemen beschossen erst kürzlich die saudische Hauptstadt Riad. Wie Trump sind Saudi-Arabien und Israel entschiedene Gegner des Atomabkommens. Beide Staaten fürchten die iranischen Mittelstreckenraketen, die Israel, Saudi-Arabien und andere Golfstaaten treffen könnten und arbeiten deshalb hinter den Kulissen an der Demontage des Atomabkommens.

Auch im Kleinen ist eine Annäherung erkennbar. Ende März flog eine Maschine der Air India nach Israel durch den saudischen Luftraum. Damit wurde erstmals nach Jahrzehnten das Überflugverbot aufgelockert. Israels Transportminister Israel Katz sprach von einem "historischen Flug". In Saudi-Arabien schwieg man über die Neuigkeit lieber. Denn in der arabischen Öffentlichkeit gilt die Annäherung an Israel immer noch als Tabu. Allerdings hat der Kronprinz im Brechen von Tabus mittlerweile Übung.

© SZ vom 04.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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