Sanktionen gegen Moskau:Putin bestrafen, ohne die Russen zu treffen

Russia's President Vladimir Putin And Russian Billionaires At Russia Business Week Conference

Fühlt sich verraten, vom Westen, von der russischen Mittelklasse: Russlands Präsident Putin.

(Foto: Bloomberg)

Russlands Präsident fühlt sich verraten - vom Westen, aber auch von der schmalen Mittelklasse, die einst gegen ihn protestierte. Wenn die Sanktionen wirken, dürfte Putin zuerst ihr die Schuld zuschieben. Der Westen muss klarmachen, dass die Strafmaßnahmen nicht gegen das Volk gerichtet sind.

Ein Kommentar von Julian Hans, Moskau

Seit drei Wochen brüten westliche Politiker darüber, wie man Russland treffen kann. Um sein Vorgehen gegen die Ukraine zu stoppen, sollte dem Land mit den Waffen der Wirtschaft ein Schuss vor den Bug versetzt werden. Wer keine Soldaten schicken möchte, muss einem Aggressor anderweitig klarmachen, dass er es ernst meint. "Banks not tanks" hat der im US-Exil lebende einstige Schachweltmeister Garri Kasparow es formuliert.

Es scheint so, als wurde zumindest der letzte Schuss in Moskau gehört. Jedenfalls sind russische Politiker nun ihrerseits mit großer Nervosität dabei, den Schaden klein zu halten oder zumindest kleinzureden. Der Warnschuss war richtig und wichtig, ob er ausreichend war, ist offen.

Kreml-Kritikern ist klar, was ihnen blüht

Derweil sollte Europa sich aber auch Gedanken machen, wie es den Menschen in Russland die Hand reichen kann. Im Getöse um die Krim ist fast untergegangen, wie der Kreml daheim auch die letzten Triebe einer freiheitlichen Gesellschaft stutzt. Dem liberalen Sender Doschd wurden die Kabel-Lizenzen und damit das Publikum und die Existenzgrundlage entzogen, die Redakteure des Nachrichtenportals Lenta.ru bekamen einen kremltreuen Chef vor die Nase gesetzt und kündigten fast geschlossen.

Andere Internet-Quellen wurden wegen "Extremismus" und Aufrufs zu nicht genehmigten Demonstrationen gesperrt, darunter Kasparows Seite kasparov.ru und das Blog des Korruptionsgegners Alexej Nawalny. Am Freitag forderte Putin seinen Innenminister Wladimir Kolokolzew noch einmal auf, entschieden gegen Extremismus vorzugehen. Dies sei eine Aufgabe "von höchster Wichtigkeit".

Kreml-Kritikern ist spätestens seit Putins Krim-Rede klar, was ihnen blüht. Der Präsident sprach von einer "fünften Kolonne" und "Verrätern", die dem Land schaden wollten. Denn verraten fühlt Putin sich nicht nur vom Westen, sondern auch von der schmalen Mittelklasse, die gegen ihn protestierte. Wenn die Sanktionen anfangen zu wirken, werden sie die ersten sein, denen die Schuld für die Lage zugeschoben wird. Der Sender NTW zeigte bereits einen Beitrag, der Nawalny als Zuträger der CIA diffamierte.

Sanktionen gegen korrupte Elite gerichtet

Europa und die USA können zweierlei tun: Sie sollten alles versuchen, um den Menschen in Russland klarzumachen, dass die Sanktionen gegen eine korrupte und gesetzwidrig handelnde Elite gerichtet sind und nicht gegen das Volk. Rasend schnell verbreitete sich in der vergangenen Woche die Nachricht, Großbritannien schließe mehrere Zentren zur Visa-Vergabe. Sofort wurde die Verbindung zu den Sanktionen hergestellt - bis die britische Botschaft klarstellte, sie werde lediglich eine andere Agentur mit der Aufgabe betrauen. Eine sehr unglückliche Kommunikation zu diesem Zeitpunkt, denn die Angst, aus Europa ausgeschlossen zu werden, ist in Russland groß.

Da die Staatsmedien die Worte des Westens nicht wahrheitsgetreu vermitteln werden, müssen zweitens Taten dazukommen, die für alle spürbar sind: Der Zugang zu Visa muss erleichtert werden, die Hochschulen müssen sich öffnen für Studenten und Wissenschaftler aus Russland. Die gebildeten, kreativen, ehrgeizigen, neugierigen, selbständig Denkenden, die in Russland unter Generalverdacht stehen, sollten im Westen willkommen sein und notfalls die Möglichkeit bekommen, Putin zu überwintern. Sonst verliert der Westen Russland ein weiteres Mal.

Eine solche Initiative wäre nicht zuletzt ein gutes Projekt für die miteinander streitenden Russland-Versteher und Russland-Kritiker in Deutschland. Die einen könnten zeigen, dass ihr Verständnis wirklich dem Land und seinen Menschen gilt und nicht doch heimlich einem autoritären Herrschaftsstil. Und die anderen, dass sie für Russland mehr übrig haben als Kritik.

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