San Bernardino:Ein ruhiger Kollege mit Sturmgewehr

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Der Schütze und seine Mittäterin waren unauffällig. Noch suchen die Ermittler das Motiv. Fest steht: Die Tat muss das Paar seit Längerem geplant haben.

Von Sacha Batthyany

Es war ein ganz normaler Tag in diesem Land. Auf einer der 18 000 Polizeistationen Amerikas gingen mehrere Anrufe ein, es war von einem "active shooter" die Rede, einem Schießwütigen, und von den "first responders", also denen, die als erste am Tatort eintreffen. Bald wurden gelbe Absperrbänder gezogen, Helikopter kreisten in der Luft, Nachrichtenstationen unterbrachen ihre Programme und boten alles auf, was sie haben. Man sah Bilder von Angehörigen, die letzte Textnachrichten ihrer Liebsten in die Kameras halten, hörte Sätze wie: "dass so etwas gerade in unserem Quartier passiert." Dann trafen Reaktionen von Politikern ein, sie würden für die Opfer beten, schrieben sie. All dies gehört zur Inszenierung dieses amerikanischen Albtraums, der das Land fast täglich heimsucht. Sechs Tote nach einer Schießerei in Texas Anfang November; 17 Verwundete in New Orleans; vier Tote, darunter fünfmonatige Zwillinge, in Jacksonville, Florida - der November war nicht blutiger als andere Monate.

An diesem Mittwoch dann ein Toter und drei Verletzte in Savannah, Georgia.

Und eben San Bernardino. Etwa 200 000 Einwohner hat diese Arbeiterstadt, 100 Kilometer östlich von Los Angeles, doch nichts erinnert an die Villenquartiere von Beverly Hills. Hier wurde 1940 der erste McDonald's eröffnet, hier befindet sich der Sitz der Inland Regional Services, einer Hilfsorganisation, die etwa 30 000 psychisch behinderte Menschen betreut und 670 Angestellte beschäftigt. Um elf Uhr vormittags drangen bis zu drei Täter in einen Konferenzraum ein. Dort fand gerade eine Weihnachtsfeier von Angestellten des Bezirks statt. Noch ist nicht alles restlos geklärt, aber es gibt Hinweise, dass einer der Täter, Syed Rizwan Farook, 28, an dem Fest teilnahm, es aber nach einem Streit verließ. Er kam wieder, gemeinsam mit einer Frau, Tashfeen Malik, 27, gekleidet in schwarzer Kampfmontur und ausgestattet mit Sturmgewehren. Sie erschossen 14 Menschen, 21 wurden verletzt.

Als sich die ersten Polizisten dem Tatort näherten, waren die Beiden offenbar noch im Gebäude, sie hinterließen drei Sprengsätze auf einem ferngesteuerten Spielzeugauto. Jemand soll den Feueralarm ausgelöst haben, worauf die Menschen auf die Straße rannten, "eine Katastrophe", wie ein FBI-Agent später sagt. "Sie rannten den Tätern direkt in die Arme. Glücklicherweise ist nicht noch mehr passiert." Nie dürfe man bei solchen Schießereien den Feueralarm betätigen, "das sollte sich doch langsam herumgesprochen haben", sagt der Mann und fordert die landesweite Einführung eines zweiten Alarmknopfs, nicht für Feuer — sondern für Feuerwaffen. So weit ist man in diesem Land schon.

Schreckliche Routine: Sicherheitskräfte während der Suche nach den mutmaßlichen Tätern von San Bernardino. (Foto: Patrick T. Fallon/AFP)

Das Paar floh in einem schwarzen Auto, wurde von der Polizei wenige Stunden später gestellt und erschossen. Eine dritte Person wurde in Gewahrsam genommen. Noch ist aber unklar, ob sie etwas mit dem Attentat zu tun hat. Auch über das Paar ist wenig bekannt. Sie hätten gehandelt, "als seien sie auf einer Mission", sagt Jarrod Burguan, ein leitender Polizist. "Man geht nach einem Streit nicht einfach nach Hause, streift sich Kampfkleidung über und schießt dann um sich. Das sieht nach einem Plan aus." Es sei selten, dass Amoktaten in Gruppen begangen würden, dazu noch von einem Paar, sagt er.

Medienberichten zufolge ist Syed Rizwan Farook Amerikaner. Er soll für die lokale Gesundheitsbehörde gearbeitet und in Restaurants Lebensmittelkontrollen vorgenommen haben. Die Los Angeles Times schreibt, er habe die Pakistanerin Tashfeen per Internet kennengelernt und sie in Saudi-Arabien besucht. Die beiden sind angeblich verheiratet und hinterlassen ein sechs Monate altes Mädchen. Arbeitskollegen beschreiben Farook als "ruhig und freundlich", auf der Internetplattform iMilap.com gibt er an, in der Freizeit am liebsten alte Autos zu reparieren und "religiöse Bücher" zu lesen. Er stamme von einer muslimischen Familie ab, in der sich "westliche und östliche Werte" mischten.

Sein Vater sagte, Farook habe immer nur gebetet. Laut der Zeitung New York Times, die sich auf Beamte der Sicherheitsbehörden beruft, soll der Mann mit Extremisten im In- und Ausland in Kontakt gestanden haben. Die beiden Pistolen, die man bei ihm fand, soll er ganz legal erworben haben, die beiden Sturmgewehre wurden von jemand anderem beschafft. In einer Wohnung, die das Paar gemietet hatte, fand die Polizei zwölf Rohrbomben und weitere Munition. In Kalifornien gilt eines der striktesten Waffengesetze des Landes. Anders als in den meisten anderen Staaten Amerikas dürfen viele Waffen weder getragen noch gekauft werden. Doch den Besitzern wurde erlaubt, alle Waffen, die sie bereits besaßen, trotz der Verschärfung der Gesetze zu behalten. In diesem Jahr gab es alleine in den USA 310 solcher Massenschießereien mit mehr als vier Toten. Seit dem Amoklauf an der Sandy Hook Grundschule in Newton, Connecticut, im Jahr 2012 gab es nicht mehr so viele Tote. Schätzungen zufolge sind im Land mehr als 300 Millionen Waffen im Umlauf, die in den vergangenen zwölf Jahren mehr Opfer forderten als Aids, all die Kriege und der illegale Drogenmissbrauch zusammen. Viele sprechen von Obsession und einem Kult, der mit der Geschichte des Landes erklärt wird und mit der Tradition, wonach Waffen Freiheit symbolisieren und das Recht auf Selbstverteidigung. Am Donnerstag trat Barack Obama vor die Medien. Er hat 2012 versucht, die Waffengesetze zu verschärfen, ist aber am Kongress gescheitert. "Viel ist bisher nicht bekannt", sagte er, und man sieht ihm den Ärger an. "Wir wissen nur, dass wir solche Attentate verhindern könnten, wenn wir nur wollten." Er sprach von einem "möglichen terroristischen Akt", fügte hinzu, es könne sich auch um eine schwierige Situation am Arbeitsplatz handeln, gedachte der Opfer, wie er es immer tut, er kann diese Rede auswendig, zu oft musste er sie wiederholen - und so ist es auch für den Präsidenten Amerikas ein weiterer, ganz normaler Tag in diesem Land.

© SZ vom 04.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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