Sammelklage:Munition für den David

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VW hat in den USA die betrogenen Autokäufer großzügig entschädigt - weil es dort die Sammelklage gibt und weil VW diese fürchtete. In Deutschland gibt es nichts dergleichen. Das muss sich ändern.

Von Heribert Prantl

Abschaltvorrichtungen gab und gibt es nicht nur in den Motoren von VW, Audi, Porsche und Daimler. Abschaltvorrichtungen gab und gibt es offenbar auch in den zuständigen Kontrollbehörden und im Bundesverkehrsministerium: Dort wurde das Wissen über die Manipulationen manipuliert und abgeschaltet.

Im Kraftfahrt-Bundesamt sind Prüfprotokolle entschärft worden, in denen von den Abgas-Tricks berichtet wurde. Die Techniker dieser Bundesoberbehörde wussten und berichteten ihren Chefs von den Manipulationen, aber die Chefs wollten es nicht wissen. Warum wollten sie nicht wissen? Diese Frage beantwortet sich von selbst, wenn man weiß, dass in dieser Behörde E-Mails bisweilen unterschrieben wurden "mit industriefreundlichen Grüßen". Im Strafrecht nennt man so etwas Beihilfe zum Betrug.

Das Kartell aus Autowirtschaft und Politik, das Kartell aus Autokonzernen, Behörden und Ministerien ist noch viel enger als die Kartelle der Autobauer selbst, über die in der vergangenen Woche recherchiert und berichtet wurde. Gegen politwirschaftliche Kartelle dieser Art hilft selbst eine Sammelklage nicht, wie sie jetzt auch von ihren bisherigen Kritikern und Verhinderern in der CDU/CSU erwogen wird - unter dem Druck der schier unglaublichen Erkenntnisse und Ereignisse. Bisher war jeder legislative Vorstoß, der eine Art Sammelklage einführen wollte, von CDU- und CSU-Ministern abgeblockt worden.

Das Kartell aus Autowirtschaft und Politik

Solange es solche Sammelklagen in Deutschland nicht gibt, sind die deutschen Verbraucher in einer völlig aussichtslosen Position. Wer kann sich schon als Einzelner mit den Autokonzernen anlegen? VW hat in den USA die im Dieselskandal betrogenen Autokäufer großzügig entschädigt - weil es dort die Sammelklage gibt und weil VW eine Sammelklage fürchtete. In Deutschland gibt es sie nicht. Also stellt sich der Konzern stur und zahlt hier keinen Cent an Schadenersatz. Er muss nichts fürchten, weil und solange die Rechtslage so ist, wie sie ist; die deutsche Rechtslage schützt den Goliath und sie verweigert dem David nicht nur die Schleuder, sondern auch die Kiesel. Das muss sich ändern. Der Bundesjustizminister hat daher richtigerweise nun noch einmal einen neuen Gesetzentwurf vorgelegt - der eine Art Sammelklage light vorsieht; es soll eine Musterfeststellungsklage eingeführt werden; Verbraucherschutzorganisationen können sie erheben. Auf Feststellungen, die in einem solchen Prozess (zum Beispiel über Manipulationen) getroffen werden, kann sich der Einzelne dann in seinem Schadenersatzprozess berufen. So entsteht ein gewisses Droh- und Druckpotenzial. So kann ein stabiles Fundament für Einzelklagen errichtet werden. Das ist ein sinnvolles Vorhaben.

Es wird in der eben ablaufenden Legislaturperiode kaum mehr Gesetz werden können. Aber Politik und Autowirtschaft können auf dem Autogipfel am Mittwoch erklären, dass sie dem Vorhaben zustimmen. Es wäre ein kleiner Beitrag zur Wiederherstellung verloren gegangen Vertrauens.

© SZ vom 01.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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