Sammelband:Böser Ballast

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Stefanie Eisenhuth, Martin Sabrow (Hg.): Schattenorte. Stadtimages und Vergangenheitslasten. Wallstein-Verlag Göttingen 2017, 184 Seiten, 24,90 Euro. (Foto: Wallstein Verlag)

In Deutschland gibt es viele "Schattenorte", deren Image vom dort geschehenen Unrecht geprägt ist. Ein neuer Band zeigt, wie diese Orte mit ihrer Last umgehen.

Von Robert Probst

Manche Schatten lasten schwer. Etwa auf der Stadt Bautzen. Wer denkt da schon zuerst an die schöne Kulturlandschaft der Oberlausitz, die Tradition der Sorben oder das mittelalterliche Pfingstspektakulum? Den meisten Menschen kommt zuerst die Assoziation "Stasi-Knast", DDR-Unrecht und manchen noch das Stichwort "Gelbes Elend" in den Sinn. Solche Schattenorte gibt es viele in Deutschland, sie sind verbunden mit Schandtaten des NS-Staates oder des DDR-Regimes. Wie die Städte damit im Lauf der Jahrzehnte umgingen, wie sie mit dem Schatten zu leben lernten oder ihn gar gewinnbringend für sich einsetzten, davon handelt ein jüngst erschienener Sammelband, herausgegeben von Stefanie Eisenhuth und Martin Sabrow.

Dass die Aufsätze sehr erhellend sind - dieses Sprachbild mag einmal durchgehen -, liegt daran, dass sie von echten Kennern geschrieben wurden, die meisten der Autoren sind in Institutionen oder Initiativen "vor Ort" tätig. Der Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam, Sabrow, legt im Vorwort den Definitionsrahmen fest. Im Unterschied zum "dunklen, bösen" Ort sind Schattenorte solche, in denen es "neben der Finsternis auch das Licht gibt und neben dem Zivilisationsbruch auch die Zivilisationskontinuität". Und so geht es dann zum Beispiel um Nürnberg, Wolfsburg, Potsdam, um den Obersalzberg und natürlich um Berlin. Erkennbar wird immer wieder ein Muster: Am Anfang steht das Ausblenden, das Wegsehen, das Wegdefinieren. Warum? "Schattenorte verkörpern exakt das Gegenteil von dem, was den Menschen vor Ort als Heimat gilt: Vertrautheit, sichere Herkunftsgewissheit, Geborgenheit, heile Welt", schreibt die Historikerin Silke Klewin. Die kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit folgt oft erst Jahrzehnte später und selten kommt sie von offizieller Seite. Ganz oft ist es dem bürgerschaftlichen Engagement zu verdanken, dass es - gegen starke Widerstände - zur Errichtung einer Gedenkstätte oder eines Dokumentationszentrums kommt. Und erst in jüngster Zeit kommen findige Kommunalwerbestrategen darauf, das dunkle Erbe auch symbolpolitisch zu vermarkten.

In Bautzen hatten zunächst der NS-Terrorapparat die beiden Gefängnisse (eins bekannt als "Gelbes Elend") genutzt, später die sowjetischen Besatzer ein Speziallager eingerichtet und danach die Stasi hier ein Hochsicherheitsgefängnis für "Staatsverbrecher" betrieben. Der Umgang mit diesem Erbe war und ist schwierig, die 1993 eingerichtete Gedenkstätte fand erst Jahre später Akzeptanz in der Bevölkerung.

Ein Buch nicht nur für Stadtmarketing-Direktoren, sondern auch für alle, die sich am "Dark Tourism" beteiligen. Der Band zeigt, wie schwierig es ist, an das "Böse" am authentischen Ort angemessen zu erinnern.

© SZ vom 13.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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