Samaras zu Besuch bei Merkel:Meine Wirklichkeit, deine Wirklichkeit

In Berlin prallen deutsche und griechische Realität aufeinander: Griechenlands Premier Samaras beschwört bei seinem Deutschland-Besuch Optimismus und erbittet mehr Zeit fürs Sparen. Gastgeberin Merkel will Athen zwar in der Euro-Zone halten, auf mögliche Zugeständnisse kommt sie aber nicht zu sprechen.

Nico Fried, Berlin

Klingt eigentlich ganz optimistisch, was die Kanzlerin und der Ministerpräsident zu sagen haben. Eine Stunde lang haben die Deutsche und der Grieche miteinander gesprochen. Jetzt äußert sich Angela Merkel zu den jüngsten Reformen in Griechenland: "Wir haben mit Freude zur Kenntnis genommen, dass die griechische Regierung und das griechische Parlament weiterführende Maßnahmen beschlossen haben." Und ihr Besucher möchte eines klarstellen: "Griechenland hat keine finanzielle Unterstützung erbeten", sagt Giorgos Papandreou.

Papandreou? Ach, pardon, das sind die falschen Notizen. Diese Zitate stammen ja vom 5. März 2010. Manches von dem, was Kanzlerin Merkel und der neue Ministerpräsident Antonis Samaras an diesem Freitag - also zweieinhalb Jahre später - zu sagen haben, klingt aber auch zum Verwechseln ähnlich. "Ich bin zutiefst überzeugt davon, dass die neue Regierung alles daran setzen wird, die Probleme zu lösen", sagt Merkel. Und Samaras wiederholt fast identisch die Worte Papandreous: "Wir haben nicht um mehr finanzielle Mittel gebeten."

Das Wörtchen "mehr" macht den Unterschied. Denn zwischen den zwei Pressekonferenzen liegen nicht nur bald 30 Monate, sondern zwei Rettungspakete für das Land, das ursprünglich nicht um Geld gebeten hat. 240 Milliarden Euro an Krediten wurden in diese Programme gesteckt, es wurden Schulden erlassen und Garantien gewährt. Es ist alles anders gekommen, aber noch nicht viel ist besser geworden. Deshalb versteht man schon, was die Kanzlerin meinen könnte, wenn sie sagt, der Kern der Krise sei "verloren gegangenes Vertrauen".

Das gilt ja auch für Merkel selbst, die im März 2010 noch einer zweifelhaften Hoffnung anhing: Die Frage nach finanzieller Unterstützung "stellt sich nicht und wir arbeiten daran, dass sie sich nicht stellen wird", sagte die Kanzlerin damals. Und fügte hinzu: "Ich bin sogar optimistisch, dass sie sich auch nicht stellen wird."

Samaras' Auge braucht Zeit zur Genesung - sein Land auch

Nun also ist Antonis Samaras zu Gast. Es ist die erste Auslandsreise des Ministerpräsidenten, am Samstag wird er in Paris Präsident François Hollande treffen. Samaras muss langsam reisen, damit sein kurz nach der Wahl wegen einer Netzhautablösung operiertes Auge nicht wieder in Mitleidenschaft gezogen wird. Seine persönliche Gesundheit und der Zustand seines Landes sind sogar vergleichbar. Samaras Auge braucht Zeit zur Genesung. Und zumindest der Ministerpräsident glaubt, dass auch Griechenland etwas mehr Zeit braucht, um wirtschaftlich wieder "Licht am Ende des Tunnels zu sehen", wie er selbst sagt.

Daran, dass dem Land Zeit verloren ging, hat Samaras allerdings einen nicht zu unterschätzenden Anteil. Als Oppositionsführer war er ein Gegner, mindestens ein Verzögerer des Reformkurses. Er kritisierte die Sparmaßnahmen Papandreous als sinnlos und sträubte sich dagegen, in die Mitverantwortung genommen zu werden. Für Merkel und ihren Finanzminister Wolfgang Schäuble war das immer peinlich, weil Samaras Partei Nea Dimokratia zur europäischen Familie der Christdemokraten gehört.

Und noch peinlicher war, dass Merkel zwar manche Regierungschefs in Europa von ihrem Krisenkurs überzeugen konnte, Samaras aber weder mit gutem Zureden noch mit harten Worten von seiner störrischen Haltung abzubringen war. Ihm ging es nur, so die Einschätzung in Berlin, um seine Wahl zum Regierungschef.

Der gute Geist aus Athen

Als er dieses Ziel im Mai erreicht hatte, waren die Zweifel groß, ob er sich der Dimension der Aufgabe überhaupt bewusst sei. "Niemand ist ohne Sünde", sagt Samaras am Freitag auf die Frage, welche Verantwortung er mit seinem Oppositionskurs für die Lage in Griechenland trage. Aber es zähle nicht mehr, "was wir in der Vergangenheit getan haben, sondern das, was wir jetzt entschlossen sind zu tun." Merkel lässt sich nicht anmerken, was sie über Samaras' bisherige Bilanz denkt. Es würde ja auch nichts helfen.

Statt dessen bekräftigt sie ihr Ziel, "dass Griechenland Teil der Euro-Zone bleibt". Sie würdigt "den Geist", mit dem man in Athen nun weitere konkrete Schritte beschlossen habe. Das sei "ein guter Anfang, aber es gibt noch viel zu tun". Man erwarte, "dass die Zusagen eingehalten werden", die Bedingung der Hilfe waren. Umgekehrt dürften die Griechen erwarten, "dass keine vorschnellen Urteile gefällt werden".

Das sieht Samaras genauso, ja an dieser Stelle wird er sogar ein wenig ungehalten. "Toxische Erklärungen" seien das, wenn "ranghohe Politiker, egal aus welchem Land" die Bemühungen der Griechen mit ihren Zweifeln konterkarierten. Das vermittle den Griechen "den Eindruck, dass man umsonst kämpft".

Samaras könnte damit den deutschen Vizekanzler Philipp Rösler von der FDP gemeint haben, für den ein Euro ohne Griechenland "seinen Schrecken verloren hat"; oder auch den Unions-Fraktionschef Volker Kauder, der noch am Morgen des Samaras-Besuchs im Fernsehen meint, ein solcher Austritt sei "verkraftbar".

Angela Merkel sagt dazu, sie kenne niemanden in der Regierung oder den Koalitionsfraktionen, der nicht wolle, dass Griechenland in der Euro-Zone bleibe - was denn doch eine recht kühne Behauptung der Kanzlerin zu sein scheint.

Merkel findet, das eigentliche Problem seien die "zwei Wirklichkeiten". Einerseits die Wirklichkeit der Griechen, die so viele Opfer gebracht hätten. Auf der anderen Seite die Deutschen, die viel Geld zur Verfügung stellten, aber allmählich ungeduldig würden. Diese zwei Wirklichkeiten, so sagt es Merkel, müssten "wieder zu einer Wirklichkeit zusammengeführt werden".

Dann geht Samaras und sagt zum Abschied: "Herzlichen Dank." In einer Umfrage kann die Kanzlerin danach zumindest die Dimension der deutschen Wirklichkeit nachlesen: Zwei Drittel der Befragten sind dagegen, Athen mehr Zeit für die Sparvorgaben zu geben. Noch deutlicher ist mit 72 Prozent die Ablehnung, sollte das Land weiteres Geld benötigen.

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