Römische Verträge:Im Kreißsaal der EU

1957 legten Deutschland und fünf weitere Staaten in der Sala degli Orazi e Curiazi den Grundstein der EU. Nun soll sie hier neuen Schub erhalten.

Von Oliver Meiler, Rom

Auch 160 Lichtspots sind nicht stark genug, um diesen großen Saal auszuleuchten. In strengen Reihen hängen sie an der Kassettendecke, alle sind an. Doch die "Sala degli Orazi e Curiazi" im ersten Stock des Konservatorenpalasts ist so hoch und so voluminös, dass nur Scheinwerfer sie ganz mit Licht füllen könnten. Oder die Sonne.

Doch die bleibt draußen, herabgedimmt durch trübes Fensterglas. Und so dämmert der Saal auf dem römischen Kapitol, der an diesem 25. März, 60 Jahre nach Unterzeichnung der Römischen Verträge, erneut den Rahmen europäischer Sinnstiftung bilden soll, wenn mit der Erklärung von Rom der Weg der Europäischen Union für die nächsten zehn Jahre skizziert wird. In dunkler Schwere. Wuchtig und mächtig, überquellend von Symbolik. Für die Fernsehbilder, so darf man annehmen, werden sie dann etwas mehr Licht anmachen.

Symbol für das Zentrum der demokratischen Ordnung

Wenn die alten Römer vom Genius Loci sprachen, meinten sie die Aura, die einen Ort um- und durchweht. "Dieser Saal", sagt Claudio Parisi Presicce, der Generalintendant für die römischen Kulturschätze, und zeigt mit flacher Hand auf die Freskenzyklen an den Wänden, als würde er sie streicheln, "ist die wichtigste Empfangshalle dieser Stadt. Sie symbolisiert die Macht des Volkes, das Zentrum der demokratischen Ordnung." Wenigstens ideell, im Geist. Natürlich gäbe es in Europa Orte mit modernerem, zukunftsweisenderem Genius. Doch hier, in dieser Sala, erstrahlt die Glorie der Anfänge, die Größe des alten und ewigen Roms.

Michelangelos Palazzo dei Conservatori, Sitz der städtischen Magistratsbehörde, ist heute Teil der Kapitolinischen Museen. Im Hof sind Teile einer Kolossalstatue von Kaiser Konstantin ausgestellt: der Kopf, ein Oberarm, ein Fuß. Alles übergroß. Die Marmorskulptur war einmal zwölf Meter hoch gewesen und stand unten im Forum Romanum.

Über die Treppe geht es hoch zum "Piano nobile", der stolzen Beletage, und da gleich in die Sala degli Oriazi e Curiazi. Ihren Namen bezieht der Raum von einer Freske an seiner Innenseite, die das Duell zwischen den Horatiern und den Kuriatiern darstellt, zweier Familien aus dem Latium. Es war ein blutiger Kampf, gefochten mit Schwertern.

Europäer über die EU

Auf die anderen Wände malte der Künstler Giuseppe Cesari zwischen 1596 und 1640 die Mythen und Gründungslegenden der Stadt. Da darf die Auffindung der Wölfin nicht fehlen, der Raub der Sabinerinnen, der Kult um die keuschen Vestalinnen. An beiden Enden des Saals, etwas quer zum Genius Loci, wie ihn der Generalintendant beschreibt, thronen zwei Päpste: Urban XIII. aus Marmor, ein Frühwerk von Gian Lorenzo Bernini, sowie ein bronzener Innozenz X. von Alessandro Algardi. "Wir sehen sie wie Kunstwerke", sagt Parisi Presicce. Als Dekoration gewissermaßen.

Getrieben von Idealen

Früher hätten sich alle, Kleriker und Politiker, einen großen Auftritt in diesem Saal des Volkes gewünscht. "Nirgendwo sonst war es erstrebenswerter." Es standen einst noch mehr Päpste herum. Doch wenn der Konflikt zwischen den Magistraten und der Kirche besonders virulent war, wurden wieder welche aus den Hallen verbannt - als Zeichen der Autonomie, getrieben von Idealen.

Dafür steht die Sala degli Oriazi e Curiazi. Darum wählten sie diesen Ort für die Geburt der "Piccola Europa", wie die Italiener es so schön sagten, damals, zum 25. März 1957. Es war ein Montag, und aus festlichem Anlass war er schulfrei. In Rom regnete es "ungnädig", wie die Zeitung Corriere della Sera notierte.

Römische Verträge: Geschichte schreiben: Kanzler Konrad Adenauer unterzeichnet für die Bundesrepublik Deutschland die Römischen Verträge.

Geschichte schreiben: Kanzler Konrad Adenauer unterzeichnet für die Bundesrepublik Deutschland die Römischen Verträge.

(Foto: AP)

Wo die fünf Gästedelegationen aus Deutschland - mit Bundeskanzler Konrad Adenauer - Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg auch vorbeifuhren, winkten ihnen die Römer unter schwarzen Schirmen hervor. Außer den Kommunisten, die sich an Moskau orientierten, und der Rechten, die mit Europa noch nicht so viel anzufangen wusste, waren in Italien alle Parteien für diese Einigungsbewegung.

Bis zuletzt geisterte das Gerücht herum, die Dokumente könnten nicht rechtzeitig fertig werden

Der Tag begann mit einer Ehrerweisung an einen "Grande Italiano", der auch ein großer Europäer war: Alcide De Gasperi, Ministerpräsident und einer der Väter der Einigung Europas, war 1954 gestorben. Sein monumentales Grabmal unter dem Portikus der Basilica di San Lorenzo im Verano, dem römischen Friedhof, wurde nicht zufällig an diesem Tag geweiht. Um 18 Uhr traf man sich dann im Campidoglio zur Unterzeichnung der Römischen Verträge. Das Fernsehen übertrug live, in Eurovision, damals noch eine Sensation.

Empfangen wurden die Gäste vom Hausherr, Roms damaligem Bürgermeister Umberto Tupini, der die Stadt gerade mal eineinhalb Jahre regierte und dann, auch wegen eines Immobilienskandals, früh aus dem Amt schied. Die fernen Zeiten erinnern da vage an die gegenwärtigen.

Das Protokoll hatte für die Unterzeichnung einen zwölf Meter langen und zweieinhalb Meter breiten Holztisch in die Sala degli Oriazi e Curiazi stellen lassen, bedeckt mit rotem Brokat. Bis zuletzt geisterte das Gerücht herum, die Dokumente könnten nicht rechtzeitig fertig werden. Sie waren ja auch umfangreich, mehr als 200 Artikel pro Vertrag. Und alles sollte in vier Sprachen gedruckt werden - deutsch, italienisch, französisch, niederländisch. Man schaffte es dann. Als signiert wurde, ertönten die Festglocken des Turms auf dem Kapitol. Und unten, auf der Piazza Venezia, standen noch immer Geschichtsbewusste unter ungnädigem Himmel.

Zum Galaempfang versammelte man sich danach im Palazzo Venezia, ebenfalls ein Ort mit Geist, wenn auch einem trüben. In dem Palast pflegte Benito Mussolini seine Macht zu zelebrieren, nicht selten vom Balkon herab. 1957 kamen da tausend Prominente und Politiker zusammen, um die "Piccola Europa" zu feiern.

Zum 60. Jahrestag soll der Empfang im Quirinalspalast stattfinden, der mal Sommerresidenz der Päpste und mal Sitz der Könige war, bevor er dann Italiens Präsidenten zu beherbergen begann. Viel Geist auch da, viel Symbolik. Vielleicht genug, um etwas neuen Sinn zu stiften.

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