MAN-Betriebsratschef im Interview:"Wir können ja nicht die Kalaschnikow ziehen"

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Saki Stimoniaris, 45, ist seit 2015 Betriebsratsvorsitzender beim Lkw-Bauer MAN, einer Tochter des Volkswagenkonzerns. Er ist dafür bekannt, kein Blatt vor den Mund zu nehmen. (Foto: Stephan Rumpf)

VW-Topmanager kann man zu nichts zwingen, findet MAN-Betriebsratschef Saki Stimoniaris. Die Mitarbeiter des Konzerns nimmt er trotz allem im Schutz.

Interview von Thomas Fromm

SZ: Herr Stimoniaris, Sie haben sich vehement gegen die Einführung von Sammelklagen für Verbraucher und Kunden in Deutschland ausgesprochen. Was ist so schlimm daran, die Verbraucherrechte zu stärken?

Saki Stimoniaris: Ich bin nicht gegen Verbraucherschutz. Ich bin nur dagegen, dass man die Interessen von Verbrauchern und Arbeitnehmern gegeneinander ausspielt. Wir müssen doch sehen, wohin das amerikanische System der großen, milliardenschweren Sammelklagen führt: Die Krise wird auf diese Weise auf dem Rücken unserer Kollegen ausgetragen, und das darf die Politik nicht ignorieren. Übrigens: Die Verbraucher, das sind ja auch unsere Arbeitnehmer und umgekehrt. Deshalb müssen die Rechte von beiden Gruppen gestärkt werden.

Ihre Rechnung ist nicht ganz richtig. Der Volkswagen-Konzern hat an die 600 000 Mitarbeiter, verkauft aber mehr als zehn Millionen Autos im Jahr. Es gibt also definitiv mehr VW-Kunden als VW-Mitarbeiter.

Keine Frage. Aber sehen Sie es mal so: Unser aller Wohlstand hat auch etwas mit unserer Industrie zu tun. Mit unseren Arbeitsplätzen und Verträgen. Und wenn wir sehen, was hier gerade passiert, dann müssen wir doch sagen: O.k., es sind bei VW große Fehler passiert. Aber soll jetzt eine ganze Belegschaft darunter leiden? Heute ist es VW, morgen ist es ein anderes Unternehmen.

Kunden, die vor Jahren ein Auto mit manipulierten Dieselmotoren von VW gekauft haben, sind indes ziemlich sauer. In den USA, aber genauso in Deutschland. Können Sie das denn nicht verstehen?

Natürlich kann ich das verstehen, und die dürfen auch sauer sein. Wichtig ist, dass die Kunden ernst genommen werden.

Aber so ist es ja nicht: Die Umrüstung läuft schleppend, viele Kunden sind genervt. Da muss doch der ganze Konzern noch viel mehr tun.

Das ist eine außergewöhnliche Situation, so was haben wir nicht jeden Tag. Aber es geht doch um etwas anderes: Wenn wir jetzt nach dem 15-Milliarden-Vergleich in den USA noch große Sammelklagen und Rückkaufprogramme in Europa starten, dann schaden wir wiederum dem Unternehmen und damit auch seinen vielen Mitarbeitern. Wir müssen in Deutschland auch Augenmaß behalten, sonst ruinieren wir jetzt eine ganze Industrie.

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Von Thomas Fromm

Aber es waren weder Verbraucher noch Anwälte, die die Affäre ausgelöst haben. Verantwortlich waren diejenigen, die bei VW Dieselmotoren manipuliert haben - hauseigene Manager und Ingenieure. Bei denen müssten Sie sich jetzt doch beschweren.

Richtig, der Kunde kann wirklich nichts dafür, und die Belegschaften genauso wenig. Deshalb muss die Politik sich jetzt überlegen, wie sie hier die richtigen Regeln findet. Da wäre es gut, wenn man in diesen Zeiten auf die Arbeitnehmervertreter hören würde.

Was sollen die Politiker denn tun?

Die Politik muss versuchen, die Rechte der Arbeitnehmer mit denen der Verbraucher besser in Einklang zu bringen. Sehen Sie: Wer zahlt denn jetzt die hohen Strafen? Wer kommt zum Beispiel für den 15-Milliarden-Euro-Vergleich in den USA auf, wer soll das erwirtschaften? Ich sage Ihnen die Antwort: die Beschäftigten, die gleichzeitig Verbraucher sind. Hier soll die Produktivität erhöht werden, da sollen Tausende von Jobs in der Leiharbeit wegfallen - wissen Sie: Wenn ich nichts mehr erwirtschafte, wird auch nichts mehr verbraucht. Und dann brauche ich am Ende auch keinen Verbraucherschutz mehr.

Und was sagen Sie dazu, dass Ihre Topmanager nur auf einen Teil ihrer millionenschweren Bonuszahlungen verzichten - trotz Dieselkrise und erst nach langem Hin und Her?

Das haben wir moniert, und da war ganz schön was los. Aber es ist eben so: Das sind Verträge, und da können wir als Betriebsräte so einen Verzicht nur anmahnen, entscheiden müssen ihn dann die Vorstände selbst. Was sollen wir denn machen, wenn jemand nicht freiwillig verzichtet? Wir können ja nicht die Kalaschnikow ziehen. Da wäre jetzt mal die Politik gefragt: Nur die kann die entsprechenden Regeln schaffen - und dafür sorgen, dass Manager in solchen Zeiten, in denen man Milliardenbelastungen stemmen muss, auf Boni verzichten.

Und was sagen Sie der Öffentlichkeit in den Vereinigten Staaten, von wo aus man den Volkswagen-Konzern gerade ins Visier nimmt?

Die Verärgerung der US-Behörden kann ich schon verstehen, wir ärgern uns ja auch. Aber ich wünsche mir von den US-Behörden auch Augenmaß. Auch sie haben eine Verantwortung für 600 000 Arbeitsplätze im Konzern.

© SZ vom 27.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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