Sahara-Geiseln:Briefe in die Wüste

Michaela Spitzer hinterlässt zwei Töchter - in der Hoffnung auf eine Freilassung hatten sie ihr nach Algerien geschrieben.

Von Dieter Baur und Peter Richter

(SZ vom 30.07.2003) Anfang März ist die 45-jährige Michaela Spitzer nach Algerien aufgebrochen, um in einem Iveco-Wohnmobil die Sahara zu erkunden, zusammen mit Witek Mitko aus Augsburg und dem Ehepaar Kurt und Erna Schuster.

Ende März sollte Michaela Spitzer dann nach Deutschland zurückfliegen. Am Flugplatz der südalgerischen Stadt Tamanrasset wartete schon ihr Ersatzmann, der ihren Platz als Beifahrer Mitkos übernehmen sollte. Doch er wartete vergeblich. Sie war, zusammen mit ihren Begleitern, den Entführern in die Hände gefallen.

Am Dienstag erfuhren Angehörige und Bekannte von ihrem Tod, der offenbar schon einige Wochen zurückliegt. Wie es scheint, ist sie den Strapazen erlegen. Ihr früherer Ehemann, Karlheinz Spitzer, von dem sie geschieden war, reagierte erschüttert, als ihn die Kripo von ihrem Tod informierte. Er trage "ganz schwer" daran, sagte Spitzer der Süddeutschen Zeitung. Sie seien dabei gewesen, wieder zueinander zu finden, hätten sich das Sorgerecht für ihre beiden Töchter geteilt.

Sahara-Reise war Geburtstagsgeschenk

Karlheinz Spitzer ist Mitglied der sektenähnlichen Gemeinschaft Remar, die in Augsburg eine Einrichtung zum "kalten" Drogenentzug betreibt. Spitzer hatte seine geschiedene Frau zusammen mit den Mädchen oft besucht, und sie sei oft bei ihm gewesen, erzählt er. Die Reise in die Sahara habe sie sich zum Geburtstag gegönnt. Die Töchter hätten sie dazu ermutigt: "Sie haben ihr die Reise geschenkt, auch wenn sie es natürlich nicht zahlen konnten, aber es kam aus ihrem Herzen".

Die zehnjährige Tochter kommt demnächst in die 4. Klasse, die 14-Jährige geht aufs Gymnasium. Zurzeit sind die Mädchen an der Ostsee in einem Kinder-Erholungsheim der evangelischen Kirche. Die Psychologen, welche die Mädchen betreuen, empfehlen, dass sie vorerst dort bleiben, ohne vom Tod der Mutter sofort informiert zu werden.

Sie hätten, sagt ihr Vater, bereits einen Schock erlitten, als am 19. Mai Meldungen durch die Presse gingen, die Geiseln seien frei gekommen. Damals hätten sie schon die Wohnung geschmückt für eine Empfangsparty, bis sich herausstellte, dass die Schlagzeilen falsch waren.

Vor wenigen Tagen verabschiedete sich der Kripobeamte Norbert Lausch - der die Mädchen nach Aussage des Vaters "in einmaliger Weise betreut" habe - von den beiden, weil er einen seit langem gebuchten Auslandsurlaub antrat. Die Kinder seien da noch zuversichtlich gewesen, erzählte Lausch. Sie hätten ihm gesagt: "Schade, dass du nicht da bist, wenn Mama kommt, aber wir heben dir ein Stück Kuchen auf".

Michaela Spitzer war gelernte Kinderpflegerin, arbeitete aber bis vor kurzem als Raumausstatterin. Dann verlor sie ihren Job und meldete sich nach Angaben ihrer Familie ordnungsgemäß in den Urlaub ab. Nachdem sich ihre Rückkehr verzögerte, strich ihr das Arbeitsamt das Arbeitslosengeld. Sie habe sich nicht rechtzeitig zurückgemeldet und sei für den Arbeitsmarkt nicht verfügbar, hieß es.

Ihre Bekannten reagierten mit Unverständnis. Interventionen beim Arbeitsamt Augsburg hätten nichts gebracht, es sei "auf einschlägige Vorschriften" verwiesen worden, berichten Bekannte, die anonym bleiben wollen. Das Sozialamt der Stadt übernahm daraufhin die Krankenversicherung für die Kinder, die mit ihrer Mutter versichert gewesen waren.

Töchter schrieben Briefe

Sehr kooperativ habe sich dagegen der Augsburger Oberbürgermeister Paul Wengert gezeigt. Er habe angeboten, bei der Rückkehr Michaela Spitzers die Reise der Kinder zum Kölner Flughafen zu bezahlen. Vorbildlich hätten sich die Polizeibeamten verhalten, sagt der frühere Ehemann Michaela Spitzers. Der Kripo-Mann Norbert Lausch ging mit den Mädchen ins Kino und in den Zoo, spielte mit ihnen Minigolf - auf eigene Kosten: "Für so etwas gibt es bei uns keinen Etat", sagte er. Für ihn sei das aber Nächstenliebe.

Die Mädchen hatten, sagte Lausch vor seinem Urlaub, zwei Briefe an ihre Mutter geschrieben, die von der Polizei an die deutsche Botschaft in Algerien weitergeleitet wurden, mit der Bitte, sie der Mutter nach der erhofften Freilassung zu geben.

Lausch gehört zu einer Gruppe psychologisch geschulter Polizeibeamter. Einen Tag, bevor die Entführung offiziell bekannt wurde, suchten diese Beamten abends um acht Uhr die im Raum Augsburg lebenden Angehörigen auf und blieben die ganze Nacht. Lausch lässt sich auch im Urlaub auf dem Laufenden halten von seiner Kollegin Johanna Weimer, die ihm versprochen hat, ihn zweimal in der Woche zu informieren. Von den beiden Mädchen ist sie beeindruckt: "Die Kinder saugen jegliche Information, die sie über die Entführung mitbekommen, detailgenau auf und speichern sie ab".

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