Sachsen-Anhalt:Sex statt 18 Prozent

Allein die FDP erregt mit merkwürdigen Fernsehspots Aufmerksamkeit in einem trübsinnigen Wahlkampf

Jens Schneider

(SZ vom 19.04.2002) - Von Liebe kann in dieser Szene keine Rede sein. Zu sehen sind vier nackte Füße unter einer weißen Bettdecke; zwei Körper sollen zueinander kommen, aber ihr Geschiebe wirkt hilflos. Die Füße wenden sich voneinander ab. "Tut mir leid", jammert die Männerstimme, ich kann einfach nicht." Die Frau heuchelt Verständnis: "Ist ja nicht so schlimm." Aber als der Mann verspricht, dass es vielleicht morgen wieder klappen könnte oder übermorgen, da flüstert sie resigniert, "...oder so".

Cornelia Pieper, gestreng wie eine Domina

In dieser Not meldet sich eine Stimme, in dem Tonfall, in dem bei Medikamenten-Werbung auf Risiken und Nebenwirkungen hingewiesen wird. Vorübergehende Schwäche sei keine Frage mangelnder Leistungsbereitschaft, dröhnt die Stimme düster und nennt als Ursachen "Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, Zukunftsangst". Dagegen helfe nur eins! Im Bild erscheint Cornelia Pieper, die Generalsekretärin der FDP.

Gestreng wie eine Domina blickt sie in die Kamera und zischt: "Damit hier endlich was passiert!" Man solle Pieper, sagt die Stimme aus dem Off, zur Ministerpräsidentin wählen. In diesem Spot, gesendet im öffentlich-rechtlichen MDR, hat Sachsen-Anhalts FDP-Spitzenkandidatin die Quintessenz ihres Wahlkampfs konzentriert. Sie stellt nicht Inhalte in den Vordergrund, sondern gibt in anhaltender Sektlaune die Stimmungskanone.

Demoskopen sind vorsichtig

Bisher ist die FDP in Sachsen-Anhalt nicht im Landtag vertreten; zweimal scheiterte sie an der Fünf-Prozent-Hürde. Und nun preist sie sich als Kandidatin für das Ministerpräsidenten-Amt an. Dieser Unernst irritiert die Konkurrenten - selbst CDU-Spitzenkandidat Wolfgang Böhmer, ein möglicher Koalitionspartner, wahrt kopfschüttelnd Distanz. Aber bei vielen Wählern scheint im Land der schlechten Stimmung eine Sehnsucht nach Heiterkeit zu bestehen - und eine starke Abneigung gegen Politiker, die zu sehr Elend und Nüchternheit des Landes widerspiegeln, das die bundesweit höchste Quote an Arbeitslosen und Abwanderern hat.

In ihren Prognosen für den Sonntag sind die Demoskopen, die in Magdeburg schon einige Überraschungen erlebt haben, sehr vorsichtig. Aber in einem stimmen sie überein: Die FDP dürfte erstmals nach vielen Jahren wieder in einen ostdeutschen Landtag einziehen.

Böhmer würde große Koalition vorziehen

Demzufolge könnte, nach dem Hamburger Modell, ein Block von CDU, Schill-Partei und FDP die sozialdemokratische Regierung Reinhard Höppners ablösen - oder sogar eine CDU/FDP-Koalition ohne Schill-Partei. Der CDU-Spitzenkandidat Böhmer schließt eine Zusammenarbeit mit der Schill-Partei nicht aus. Doch er macht auch deutlich, dass er eine große Koalition mit der SPD vorziehen würde - er spricht angesichts der hohen Landesschulden von einer "Sanierungskoalition".

Zu einer Kooperation mit Schills Spitzenkandidat Ulrich Marseille müsse er sich schon sehr zwingen. Auch gegen Cornelia Pieper hat der frühere Chefarzt Vorbehalte. Sollte eine Koalition zustande kommen, dann wolle er mitentscheiden, wen die Partner als Minister nominieren, sagte Böhmer der SZ. Er werde es sich "nicht bieten lassen", dass zum Beispiel allein die FDP entscheide, wen sie für welche Ministerien vorschlage. Eine Bedingung, die für die FDP kaum annehmbar sein dürfte.

Widerstand in der SPD gegen Koalition mit der PDS

Wegen der geringen Zugkraft ihres Spitzenkandidaten Reinhard Höppner fürchten die seit 1994 regierenden Sozialdemokraten, dass sie viele Anhänger nicht mobilisieren können und dramatisch Wählerstimmen verlieren. Höppner allerdings hat dennoch bereits laut darüber nachgedacht, wie er Ministerpräsident bleiben kann. Nach acht Jahren der Zusammenarbeit in einem Tolerierungsmodell, so ließ er durchblicken, strebe er auch nach einer Wahlniederlage eine Koalition mit der PDS an.

Dafür bräuchte er indes eine komfortable Mehrheit, denn mindestens eine Handvoll der SPD-Abgeordneten würde dem nicht zustimmen. Dieses von Innenminister Manfred Püchel geführte Lager richtet sich auf Sondierungsgespräche mit der CDU ein. Auch bei der PDS mit ihrer Spitzenkandidatin Petra Sitte geht man davon aus, dass es für die erhoffte Koalition wegen der Schwäche des Partners nicht reichen könnte.

Die Bündnisgrünen - vor acht Jahren noch Regierungspartei - können kaum auf den Einzug in den Landtag hoffen. Vor vier Jahren überschattete der Erfolg der aus München gesteuerten rechtsextremen DVU mit 12,9 Prozent den Wahlabend. Deren Fraktion spaltete sich nach unappetitlichen Skandalen schnell. Diesmal tritt die DVU nicht an, nur die Abspaltung FDVP bewirbt sich und plakatiert flächendeckend. In den Gedankenspielen über die Zusammensetzung des neuen Landtags spielt sie bisher keine Rolle.

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