Russlands Rolle in Syrien:Bomben für die Heimatfront

Brüchige Feuerpause in Ost-Ghuta

Die Bilder des russischen Präsidenten Putin und des syrischen Präsidenten Assad hängen an einem Kontrollpunkt der syrischen Armee.

(Foto: dpa)

Moskau ist zum entscheidenden Machtfaktor im syrischen Bürgerkrieg geworden. Und die wiedergewonnene außenpolitische Bedeutung festigt das Machtgefüge daheim in Russland.

Kommentar von Frank Nienhuysen

Wie groß Verzweiflung und Ohnmacht sind, wie nah die Apokalypse, zeigt sich in den dramatischen Worten von UN-Generalsekretär António Guterres. Die "Hölle auf Erden" müsse endlich beendet werden, rief der Portugiese. Aber die Hölle wird leider nur zeitweise geschlossen. Russland hat für das belagerte syrische Gebiet Ost-Ghouta eine Feuerpause zwischen neun Uhr morgens und 14 Uhr bestimmt, was eben auch bedeutet, dass zwischen 14.01 Uhr und anderntags 8.59 Uhr weiter bombardiert und geschossen werden darf.

Selbst in dem kleinen täglichen Zeitfenster können außer den Terrorgruppen IS und al-Qaida weiterhin auch Rebellen angegriffen werden, die der UN-Sicherheitsrat gar nicht als Terroristen einstuft. Wie soll da umgesetzt werden, was Sinn der Schonung sein soll: Menschen in Sicherheit zu bringen, Hungernde zu versorgen? Russland fällt mit der verkündeten Teilzeitpause hinter die Resolution der Vereinten Nationen zurück, die es am Samstag selber mitbeschlossen hat.

Dass nicht Washington, Damaskus und auch nicht Teheran oder Ankara die Schlüsselrolle im Syrien-Krieg spielen, ist in den vergangenen Tagen deutlich geworden. Moskau regiert diplomatisch und militärisch das Geschehen fast nach Belieben. Es verzögerte mit seinem diplomatischen Schwert, dem Vetorecht, tagelang die so dringend nötige Resolution; es verkündete die begrenzte Feuerpause, und auch in der Kurdenregion Afrin griff Russland insofern ein, als es still hielt und der Türkei das Feld zum Angriff überließ.

Gegen den Willen Russlands wird nur noch wenig entschieden

Russland zementiert also vor den Augen der Welt seine neue politische Kraft und lässt die übrigen Mächte im Sicherheitsrat wie zurechtgestutzte Buben aussehen. Es stützt das Regime von Baschar al-Assad, das den größten Teil Syriens wieder unter Kontrolle hat, und ist längst wieder jener große Mitspieler im unruhigen Nahen Osten, der die verflossene Sowjetunion einst jahrzehntelang war.

Gegen den Willen Russlands wird nur noch wenig entschieden, das beweist auch die am Montag blockierte Resolution im Jemen-Konflikt. Doch hinter dieser Botschaft verbergen sich weitaus mehr innerrussische psychologische Facetten, als es beim Blick auf die nahöstlichen Schlachtfelder erscheint. Denn die wiedergewonnene außenpolitische Bedeutung festigt auch das Machtgefüge daheim in Russland.

Wenn etwa neue russische Kampfjets des Typs SU-57 in den syrischen Luftraum geschickt werden, nährt dies auch die gewaltige Rüstungsindustrie und rechtfertigt jenes wirtschaftliche Gewicht, das Wladimir Putin der Schlüsselbranche zuschreibt. Und natürlich lässt sich Russlands Rolle in Syrien flexibel und günstig für das heimische Publikum aufbereiten. Denn die Bewertung des Konflikts wird vor allem über das staatlich gelenkte Fernsehen serviert. Dort wird der Kampfesmut der russischen Soldaten gezeigt, der Sieg gegen die Dschihadisten des Islamischen Staates erklärt, das Heimkommen von Teilen der Armee gefeiert, Amerika gegeißelt - und die von Russland verkündete Feuerpause gewürdigt.

Eine Belastung ist das Mitwirken im Konflikt allemal. Opfer und die eigene Verwundbarkeit lassen sich nicht ganz kaschieren, in ohnehin schweren Zeiten wird der Haushalt strapaziert. Aber das überwiegt: Russlands Einfluss ist so groß wie seit Jahrzehnten nicht - in Zeiten der Tristesse für das Land von unschätzbarem Wert.

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