Russland:Zu früh für Vergebung

Ganz im Stillen einigt sich die EU auf die Verlängerung der Strafen gegen Russland. Zwar wächst die Bereitschaft zur Deeskalation, aber das Minsker Abkommen wird nicht eingehalten.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Russlands EU-Botschafter findet, dass ihn das alles nichts angeht. Ende Juli laufen die Wirtschaftssanktionen gegen Russland aus; die Verlängerung um weitere sechs Monate steht an. "Was die Sanktionen betrifft, so diskutieren wir sie nicht mit der Europäischen Union", sagt Wladimir Tschischow. Die EU habe das Problem geschaffen. Wenn sie es gelöst habe, solle sich melden. Das klingt selbstsicher, und Nachrichten aus mehreren EU-Staaten scheinen Tschischow auch Anlass zur Annahme zu geben, die Tage der Sanktionen seien gezählt. In einer nicht verbindlichen Resolution hat der französische Senat die "schritt- und teilweise" Aufhebung der Strafmaßnahmen gefordert. Ähnliche Überlegungen haben in Deutschland sowohl Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel als auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier (beide SPD) ins Spiel gebracht. Und auch der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft verlangte einen "Einstieg in den Ausstieg aus den Sanktionen".

Gabriel und Steinmeier wollen auf Moskau zugehen, aber dafür findet sich keine Mehrheit

Der Eindruck aber täuscht. Die Sanktionen werden nicht fallen. EU-Ratspräsident Donald Tusk und seine Leute haben in den vergangenen Wochen sondiert, ob mit Widerstand gegen die Verlängerung der Sanktionen zu rechnen sei. Der Beschluss kann nur einstimmig gefasst werden. Schon ein EU-Staat könnte die 2014 beschlossenen und mehrfach verlängerten Sanktionen kippen. Doch genau damit sei nicht zu rechnen, wurde den Vertretern der EU-Staaten in dieser Woche mitgeteilt. Der Plan ist nun, die Verlängerung noch im Juni auf Botschafterebene zu verlängern. Auf der Tagesordnung der Sitzung der EU-Außenminister am 20. Juni in Luxemburg steht das Thema nicht. Auch eine Debatte beim EU-Gipfel Ende Juni würde Tusk gerne vermeiden. Im Kreis der Staats- und Regierungschefs will er Russland erst im Herbst aufrufen.

Die Forderung, Sanktionen im Gegenzug für Fortschritte im Osten der Ukraine zu lockern, läuft nach Ansicht von EU-Diplomaten zumindest momentan ins Leere. Von einer Umsetzung des Minsker Abkommens kann bislang keine Rede sein. Das galt aber als Voraussetzung für die Lockerung von Sanktionen. Der Waffenstillstand wird laufend gebrochen. Die geforderten Wahlen sind im jetzigen Klima kaum vorstellbar. "Russland setzt seine militärische und finanzielle Hilfe für die Militanten fort", heißt es in einer einstimmig verabschiedeten Erklärung der stärksten Fraktion im Europaparlament, der Europäischen Volkspartei (EVP). Man unterstütze die bevorstehende Entscheidung, die Sanktionen zu verlängern.

Von einer "sehr intensiven Phase", um die Umsetzung des Minsker Abkommens voranzubringen, sprach am Freitag Bundeskanzlerin Angela Merkel. Verhandelt wird über ein neues Treffen im so genannten Normandie-Format - der diplomatischen Konstellation, die während der heißen Phase des Ukraine-Konflikts einen Waffenstillstand erwirken wollte. Doch selbst wenn es demnächst wieder zu einem Treffen von Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande mit Kremlchef Wladimir Putin und dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko käme, würden es keine Verhandlungsergebnisse geben, die schnell wirken und damit eine Lockerung der Sanktionen rechtfertigen. Im Herbst, wenn über die nächste Verlängerung diskutiert werden soll, könnte das anders aussehen.

Der Handel mit Russland schrumpfte 2015 in der EU um 26,5 Prozent

Die Brüsseler Zuversicht, dass die Front bis dahin hält, gründet sich nicht zuletzt auf die Abschlusserklärung des G-7-Treffens in Japan. Darin heißt es: Man erinnere daran, "dass die Dauer der Sanktionen klar verbunden sind mit der vollständigen Umsetzung der Minsker Vereinbarungen durch Russland". Mitunterzeichner ist Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi, der noch vor der letzten Verlängerung lautstark eine Debatte gefordert hatte.

Kritik aus den Mitgliedsstaaten an den Sanktionen begegnet der Auswärtige Dienst der EU mit Zahlen. In einer internen Aufstellung rechnet er vor, dass wegen der Gegensanktionen die Agrarexporte nach Russland 2015 im Vergleich zum Vorjahr zwar um 39 Prozent eingebrochen sind. Im gleichen Zeitraum stieg der Export dieser Güter in Länder außerhalb der EU aber um sechs Prozent. Mit Ausnahme vor allem der baltischen Staaten verzeichneten die meisten EU-Länder ein Plus. Der Russland-Handel insgesamt schrumpfte 2015 um 26,5 Prozent, wobei zwei EU-Länder durch riesige Zuwächse auffallen: Zypern mit 202,7 Prozent und Malta mit 310,5 Prozent. Auf beiden Inseln sind russische Unternehmen aktiv.

Wie man mit Russland wieder ins Geschäft kommen könnte, will EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sondieren. Am kommenden Mittwoch bricht er zum Wirtschaftsforum nach St. Petersburg auf, wo er sich auch mit Präsident Wladimir Putin treffen wird.

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