Russland:Warum der russisch-chinesische Trumpf nicht sticht

Russland: Russlands Präsident Putin (links) und Chinas Staatschef Xi Jinping.

Russlands Präsident Putin (links) und Chinas Staatschef Xi Jinping.

(Foto: AFP)

Moskau tut, als könne es mit Europa brechen, um sich Asien zuzuwenden. Das ist eine Illusion, denn der Grat zwischen Partnerschaft und Rivalität ist gerade im Verhältnis zu China schmal.

Kommentar von Frank Nienhuysen

Russland und China teilen sich eine 4300 Kilometer lange Grenze. Diese trennt die beiden Riesenreiche voneinander - doch sie verbindet sie auch. Die Rede von einem neuen nachbarschaftlichen Superverhältnis Russlands zur boomenden Volksrepublik China gehört inzwischen zur russischen Staatsrhetorik, da die Liebe zum Westen abgekühlt ist, übrigens schon längst vor dem derzeit schwärenden Ukraine-Konflikt.

Diese Vision hat Moskau ja früher einmal vorgetragen: Europa größer zu machen, es aufzuspannen von Lissabon bis nach Wladiwostok. Zuletzt aber hat es eher mit einem größeren Eurasien kokettiert, das von St. Petersburg bis nach Shanghai reichen könnte. Russland habe eben Optionen, betont die Moskauer Führung gern. Aber Russen haben auch Ängste. Und diese Ängste sind gerade abzulesen an einem Fall aus dem fernen Sibirien. Sie zeigen - trotz aller gepriesenen Gasröhrentrassen und sonstiger verbindender Projekte -, dass Russlands Annäherung an Asien auch spürbar Grenzen gesetzt sind.

Russische Nationalisten schüren Ängste

Man könnte ganz Deutschland in das ostsibirische Gebiet Sabajkalsk verpflanzen, und es bliebe noch Platz übrig. Trotzdem ist Sabajkalsk nur ein Fleckchen im großen Teppich Russland, zudem bewohnt von einer geringen Zahl Menschen. Jetzt sollen chinesische Investoren kommen und für 49 Jahre Land pachten und bewirtschaften - denn Russen lassen sich dafür nicht finden. Das klingt vernünftig, doch russische Nationalisten der Duma schüren Ängste und stellen das Pachtprojekt als "wichtige geopolitische Frage" dar. Das Szenario, mit dem sie Parlament, Premier und Präsident Wladimir Putin zum Einschreiten bewegen wollen: In 20 Jahren werde sonst ein Chinese zum Gouverneur - und alle Arbeitsplätze gingen an Chinesen. Da ist das Gespenst wieder, das im Zuge der russisch-chinesischen Freundschaftsfeiern schon gestorben zu sein schien: die Furcht, von Asien an den Rand gedrückt zu werden.

Das Hochkochen einer solchen nationalistisch-emotionalen Debatte ist genau das, was die russische Regierung nicht brauchen kann in Zeiten, in denen sie auf Asien als wirtschaftliches und politisches Instrument setzt wie lange nicht mehr. Denn egal, ob bei der annektierten Krim, bei Energiegeschäften oder beim kollabierenden russischen Automarkt: Asien wird als rettende Alternative gewürdigt, wo Europa sich abwendet.

Der Grad zwischen Partnerschaft und Rivalität im Verhältnis zu China ist schmal

Politisch wiederum spannen sich Peking und Moskau zu einem Bollwerk zusammen, das den US-Einfluss am Pazifik eindämmen soll. Doch der Grat zwischen Partnerschaft und Rivalität ist gerade im Verhältnis zu China schmal, nicht nur, weil ältere Russen sich an Pekings Gebietsansprüche und den bewaffneten Grenzkonflikt erinnern. All dies ist vertraglich beigelegt, dafür gibt es neue Eifersüchteleien in Moskaus Interessenzone: Pekings Projekt der "Neuen Seidenstraße" etwa, die Konkurrenz bei Geschäften in den Ländern Mittelasiens, ehemaligen Sowjetrepubliken.

Auch für Russen gilt: Zweckbündnisse ersetzen keine Herzensangelegenheiten. Nicht zufällig haben russische Geschäftsleute ihre Kinder auf Schulen nach London geschickt, lernen Russen Englisch oder Deutsch, hören Stones oder Sarah Connor, kaufen sich Latifundien in Italien, ziehen nach Kitzbühel, Garmisch oder Unterschleißheim. Die sich überschlagende Patriotismuswelle und die massive Besinnung auf alles Russische spielen zwar vor, dass das Land sich selbst genügen könne. Und wo es an Geld fehlt, springen halt Chinesen, Japaner oder Koreaner ein. Aber so einfach ist das nicht. Deshalb kommen gerade viele widersprüchliche Botschaften aus diesem Land.

Die asiatische Karte sticht nicht wie gewünscht

Da wird etwa betont, dass sich Russland im rhetorischen Kampf gegen den Westen weniger an Europa als an den USA abarbeite. Auch die Tatsache, dass Moskau in den vergangenen Tagen gerade nicht mit der asiatischen Karte auftrumpfte, kann als Signal gedeutet werden: dass diese Karte nicht sticht wie gewünscht und dass Russland Europa vielleicht doch viel mehr braucht, als der Trotz der vergangenen Monate glauben machen wollte.

Und selbst im fernen Osten Russlands fühlen sich viele Menschen als Europäer und nicht als Asiaten.

Das Wirtschaftsforum in St. Petersburg etwa wäre die ideale Bühne gewesen, um Asien zu umschnurren und Europa zu versetzen. Das aber passierte nicht, erschrocken waren vielmehr einige Asiaten. Ein Milliardär, neben Putin auf der Bühne, schaute betroffen ins Publikum, kritisierte den Mangel an Chinesen bei dieser Veranstaltung und sagte, "ich fühle mich sehr einsam hier". Das ist Russlands Dilemma: Es leistet sich eine schwere Krise mit Europa und weiß doch, dass Asien es nicht ersetzen kann.

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