Russland unter Putin:Sieg des Kühlschranks über den Fernseher

Russland unter Putin: Ein Paar verfolgt in der Krimstadt Sewastopol auf einer Leinwand die Ansprache des russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Ein Paar verfolgt in der Krimstadt Sewastopol auf einer Leinwand die Ansprache des russischen Präsidenten Wladimir Putin.

(Foto: AFP)

Applaudierende Journalisten, 80 Prozent Zustimmung in der Bevölkerung - noch verfängt das patriotische TV-Geschwätz von Präsident Putin bei vielen Russen. Doch beim Blick auf Wechselkurse und Lebensmittelpreise erleben sie mehr und mehr, dass die Realität damit wenig zu tun hat.

Kommentar von Julian Hans

Zumindest scheinbar ist Wladimir Putin immer noch Herr der Lage. Nach zwei Tagen voller Katastrophenmeldungen, welche die Menschen zu Hamsterkäufen in die Geschäfte trieben, schafft der russische Präsident es, einen dreieinhalbstündigen Auftritt vor mehr als tausend internationalen Journalisten zu überstehen, der live vom Fernsehen übertragen wird. Dass er dabei tatsächlich Rede und Antwort steht, wäre wohl zu viel gesagt, denn die wirklich kritischen Fragen hat er nicht beantwortet, sondern sich wie üblich mit Beschwichtigungen, Scherzen, Gegenangriffen und Geschichtsexkursen darum gedrückt. Nachfragen waren nicht erlaubt.

Dennoch applaudieren immer noch einige der russischen Journalisten ihrem Präsidenten. Und laut der jüngsten Umfrage, welche die Agentur Associated Press in der letzten November- und der ersten Dezemberwoche durchführen ließ, als die Talfahrt des Rubels sich bereits beschleunigte, unterstützen auch immer noch 80 Prozent der Menschen in Russland Putin.

Die Russen merken, dass das reale Leben immer härter wird

Doch die Widersprüche werden immer offensichtlicher. Der Markt hat das längst gemerkt. Das fehlende Vertrauen ist - neben dem niedrigen Ölpreis und den Sanktionen - der wichtigste Grund für die Flucht des Geldes aus Russland. Am Donnerstag wurde erneut deutlich, dass Putin keine Idee, kein Konzept hat, um dem Land wirtschaftlich wieder auf die Beine zu helfen. Man muss sogar befürchten, dass das inzwischen zweitrangig ist für ihn, da patriotisches Pathos und die Erzählung vom Bären Russland, der sich nicht zähmen lässt, bislang ihren Zweck erfüllen und Volk und Präsidenten zusammenschweißen.

Es ist möglich, dass Putin damit einige harte Jahre übersteht. Die dringend notwendige Diversifizierung der Wirtschaft wird es in diesen Jahren freilich ebenso wenig geben, wie es sie in den fetten Jahren nicht gegeben hat. Aber sollte die globale Konjunktur eines Tages tatsächlich wieder den Ölpreis nach oben treiben, hätte Putin das Schlimmste überstanden. Auf die Frage, ob er bei der Wahl 2018 noch einmal antreten werde, antwortete er, das sei noch nicht entschieden.

Der stolze Schein bekommt aber auch im Alltag zunehmend Kratzer. Von den Anzeigetafeln der Wechselstuben leuchtet den Menschen auf Schritt und Tritt entgegen, wie ernst die Lage ist. Der britische Economist nannte es den Sieg des Kühlschranks über den Fernseher: Wenn die Lebensmittel immer teuer werden, klingen die Geschichten im TV vom stolzen Land, das zu neuer Größe gewachsen ist, immer unglaubwürdiger. Das Spiel bleibt für Wladimir Putin hochriskant, und man muss davon ausgehen, dass es weiter mit harten Repressionen gegen kritische Stimmen im eigenen Land begleitet werden wird.

Die Frage für Russlands Nachbarn und für den Westen ist, ob Putin auf die Probleme auch mit mehr Aggression nach außen reagieren wird. Oder ob er angebotene Kompromisse annehmen kann, um Verbesserungen für sein Land zu erreichen. Aber auch da ist die Entscheidung offenbar noch nicht gefallen.

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