Russland:Stalingrad soll wieder auferstehen

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Die Forderung der örtlichen Kommunisten passt zu einer Welle regelrechter Stalin-Euphorie, die Russland vor dem 60. Jahrestag des Sieges im "Großen Vaterländischen Krieg" erfasst hat. Das Industriezentrum war im Zuge der Entstalinisierung 1961 in Wolgograd umbenannt worden.

Von Daniel Brössler

Der neue Schriftzug nahe der Moskauer Kremlmauer tauchte bereits im Sommer auf: Nicht mehr Wolgograd stand am Grabmal des Unbekannten Soldaten zu lesen, sondern Stalingrad.

Der Diktator hat heuete noch viele Anhänger. (Foto: Foto: Reuters)

Russlands Präsident Wladimir Putin hatte angeordnet, der "Heldenstadt" wieder unter ihrem alten Namen zu gedenken. Mit diesem Namen sei die Stadt zum Symbol für den "Sieg des Guten über das Böse" geworden, begründete der Kreml die Entscheidung.

Die Kommunisten in Wolgograd haben das nicht vergessen. Bei der Änderung eines Denkmals wollen sie es nicht belassen, sie möchten gleich ihre ganze Stadt wieder nach dem sowjetischen Diktator benennen.

Ihr großes Ziel des Jahres 2005 sei es, Wolgograd wieder in Stalingrad umzubenennen, erklärten sie. Das Industriezentrum war 1925 nach Stalin benannt worden und erhielt im Zuge der Entstalinisierung 1961 die Bezeichnung Wolgograd.

Regelrechte Stalin-Euphorie

Die Forderung der örtlichen Kommunisten passt zu einer Welle regelrechter Stalin-Euphorie, die Russland vor dem 60. Jahrestag des Sieges im "Großen Vaterländischen Krieg" erfasst hat.

Pünktlich zum Tag des Sieges am 9. Mai soll in Belgorod ein neues Denkmal für Josef Stalin enthüllt werden. Bekannt wurden kürzlich auch Pläne, Stalin solle in Moskau in Bronze geehrt werden.

Die Behörden in der russischen Hauptstadt sprachen allerdings bald darauf von einem Missverständnis. Auch die Kommunisten in Wolgograd, die dort gerade erst die Gouverneurswahlen gewonnen haben, bestreiten, dass es ihnen um eine Verherrlichung Stalins gehe.

Die Stadt sei nun einmal unter der Bezeichnung Stalingrad berühmt geworden, sagte die örtliche KP-Chefin Alewtina Aparina der Zeitung Nowyje Iswestija. "Das hat mit Stalin gar nichts zu tun."

"Die heutige Macht zitiert Stalin"

Das sieht Oleg Orlow, der Chef der Menschenrechtsorganisation Memorial, anders. Mit Sorge beobachtet er die Stalin-Nostalgie. "Das hat tiefe Wurzeln", sagt er.

Nun räche sich, dass sich Russland mit der Vergangenheit nicht auseinander setze. Verantwortlich sei Wladimir Putin. Unter seiner Führung werde wieder vom "inneren und äußeren Feind" und von "fünften Kolonnen" gesprochen, so Orlow. "Die heutige Macht zitiert Stalin."

© SZ vom 26.1.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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