Russland:Wie Telegram mit den Zensoren kämpft

ST PETERSBURG RUSSIA APRIL 13 2018 A flashmob participant poses with a paper plane bearing the

Papierflieger zum Protest: Eine Russin demonstriert in Sankt Petersburg gegen die Blockade des Messenger-Dienstes Telegram.

(Foto: Peter Kovalev/imago/ITAR-TASS)
  • Die russische Telekommunikationsbehörde versucht, den Messenger Telegram im Land zu blockieren.
  • Hintergrund ist ein Streit über den Zugriff von Behörden auf verschlüsselte Chats.
  • Aber Telegram wechselt ständig die IP-Adressen, über die es seinen Datenverkehr abwickelt,
  • Die Blockade hat deshalb auch Nebeneffekte, die der Staat wohl nicht beabsichtigt hat: Websites russischer Medien und Unternehmen waren zwischenzeitlich nicht erreichbar.

Von Julian Hans, Moskau

Der Kampf gegen das freie Wort fordert viele Opfer, doch soweit bekannt, sind bisher keine Terroristen darunter. Seit Anfang der Woche hat die russische Zensurbehörde Roskomnadsor mehr als 16 Millionen IP-Adressen blockieren lassen, um den Messenger-Dienst Telegram lahmzulegen. Doch während Telegram weiter funktioniert und die Nutzer die Sperren mit Tricks umgehen, wurden andere in Mitleidenschaft gezogen: Websites russischer Medien und Unternehmen waren zwischenzeitlich nicht erreichbar.

Telegram ist eine Software des russischen Unternehmers Pawel Durow, die ähnlich funktioniert wie Whatsapp. Seit Telegram vor zwei Jahren so genannte "Kanäle" einführte, hat sich das Chat-Programm auch zu einem neuen Medium entwickelt, über das Nachrichten und Gerüchte verbreitet werden. Einige Kanäle haben so viele Abonnenten wie eine mittelgroße Zeitung. Zudem sind viele Unternehmen dazu übergegangen, ihren Kundenservice über den Messenger abzuwickeln. Selbst Behörden kommunizierten mit den Bürgern über Telegram, und auch der Pressedienst des Kreml hielt mittels Messenger Kontakt mit Journalisten.

Von Anfang an bot Telegram die Möglichkeit, verschlüsselt zu kommunizieren. Das hat es zu einem beliebten Instrument unter Gegnern des Kremls gemacht, die sich immer stärker der Verfolgung durch die Behörden ausgesetzt sehen. Der Geheimdienst FSB verlangte einen Nachschlüssel, angeblich weil Terroristen über das Netzwerk kommunizierten. Durow erklärte, eine solche Forderung sei unvereinbar mit dem Gesetz "und mit den Prinzipien des Datenschutzes des Messengers". Am vergangenen Freitag gab ein Moskauer Gericht einem Antrag statt, den Messenger zu blockieren. Das ist indes komplizierter als gedacht.

Anfang des Jahres sammelte Durow 850 Millionen Dollar von Investoren ein, um auf der Grundlage von Telegram eine eigene Kryptowährung zu entwickeln, die so einfach funktionieren soll, wie der Messenger selbst. Angesichts 200 Millionen aktiver Nutzer, die Telegram eigenen Angaben zufolge weltweit hat, wäre der potenzielle Kundenstamm von Anfang an riesig. Die 15 Millionen Nutzer in Russland fallen da nicht sonderlich ins Gewicht. Sich um ihretwillen mit dem FSB einzulassen hätte bedeutet, das globale Geschäftsmodell zu gefährden. Auch wenn immer noch viele nachlässig sind beim Datenschutz - beim Geld will niemand ein Risiko eingehen.

Hase-und-Igel-Spiel mit den Zensoren

Seit Roskomnadsor am Montag mit der Blockade begann, liefern sich die Entwickler ein Hase-und-Igel-Spiel mit den Zensoren. Telegram wechselt ständig die IP-Adressen, über die es seinen Datenverkehr abwickelt, und greift dabei auf Drittanbieter zurück wie Amazon Web Services oder Google Cloud. Bei dem Versuch aufzuholen, blockiert die Behörde immer wieder auch unbeteiligte Dritte. Am Dienstag richtete Roskomnadsor eine Hotline ein, bei der Betroffene sich melden können, wenn ihre Internetdienste in Mitleidenschaft gezogen wurden. Man befinde sich in einem Rüstungswettlauf mit den Entwicklern, sagte der Roskomnadsor-Chef Alexander Scharow der Zeitung Wedomosti. Für seine Rolle bei der Unterdrückung abweichender Meinungen hat ihn die US-Regierung auf ihre neueste Sanktionsliste gesetzt.

Den Nutzern wurde empfohlen, auf zwei alternative Messenger auszuweichen, die beide zur Mail.ru Group gehören. Mail.ru ist mehrheitlich im Besitz des Milliardärs Alischer Usmanow, der Wladimir Putin in Treue verbunden ist. Vor vier Jahren hat der Konzern das soziale Netzwerk VKontakte übernommen und Durow aus dem Unternehmen gedrängt. Der russische Facebook-Klon hatte einst den Grundstein gelegt für Durows Erfolg.

Die verbliebenen liberalen Medien in Russland kritisieren nicht nur einen neuen Schritt bei der Einschränkung der Meinungsfreiheit. Sie erinnern auch daran, dass Durow eines der wenigen Beispiele für einen Manager ist, der in Russland nicht mit Rohstoffen und Beziehungen reich wurde, sondern mit High Tech und einem innovativen Produkt, das von Menschen auf der ganzen Welt genutzt wird.

Während es in Russland Mode geworden ist, die Autarkie hochleben zu lassen und am liebsten auf alle Importe aus dem Westen zu verzichten, wird eine der wenigen globalen Erfolgsgeschichten Made in Russia vom Staat zerstört und ihr Erfinder rausgeekelt. Durow hält sich derzeit in Dubai auf. Terroristen fänden andere Wege, um verschlüsselt zu kommunizieren, schrieb er auf VKontakte. "Aber die nationale Sicherheit sinkt, wenn die persönlichen Daten russischer Staatsbürger von einer neutralen Plattform abwandern zu Whatsapp und Facebook, die unter US-Kontrolle stehen."

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