Russland:Späte Rache

Russland: Auch betroffen: Margarita Simonjan, Chefin von Russia Today.

Auch betroffen: Margarita Simonjan, Chefin von Russia Today.

(Foto: imago stock&people)

Ein Haager Schiedsgericht verurteilte den Staat 2014 zur Milliardenentschädigung im Fall Yukos. Jetzt wird in mehreren Ländern zwangsvollstreckt.

Von Julian Hans, Moskau

Die Summe schien so phantastisch hoch, dass manche gleich das ganze Urteil ins Reich der Phantasie einordneten. Im Juli 2014 war der Ständige Schiedsgerichtshof in Den Haag zu dem Schluss gekommen, dass der russische Staat den seinerzeit größten Ölkonzern des Landes, Yukos, gezielt in den Bankrott getrieben hat, um die Überreste dann in das Staatsunternehmen Rosneft zu überführen. 50 Milliarden Dollar Entschädigung sprachen die Richter den Yukos-Aktionären zu. In Moskau beschloss man, das zu ignorieren. Bis jetzt.

Nachdem die Zahlungsfrist am Montag nach einem Jahr ausgelaufen war, erwirkten die Kläger in drei europäischen Ländern die Vollstreckung des Urteils. Seit Mitte dieser Woche wurden erst in Belgien, dann in Frankreich und Österreich Konten gesperrt und Immobilien des russischen Staates beschlagnahmt. Auch in den Niederlanden, Deutschland und den USA wollen die Kläger die Vollstreckung durchsetzen.

In Paris traf es am Donnerstag auch die russische Nachrichtenagentur Tass und das staatliche Propaganda-Netzwerk Russia Today, das unter anderem den Nachrichtensender RT betreibt. Da das Eigentum von Tass im Ausland dem russischen Staat gehöre, seien auch sie betroffen, bestätigte ein Sprecher der Agentur der russischen Ausgabe des Magazin Forbes. Margarita Simonjan, Chefredakteurin von Russia Today, bestritt, dass ihre Agentur betroffen sei. Sie habe rechtzeitig Vorkehrungen getroffen, um einer Kontensperrung zu entgehen und die Arbeit fortsetzen zu können.

Die Gerichtsentscheidungen haben weitreichende Auswirkungen, die nicht allein Unternehmen im Besitz des russischen Staates betreffen (diplomatische Liegenschaften sind ausgenommen). Russische Staatsbürger mit Wohnsitz in Belgien etwa müssen innerhalb von zwei Wochen nachweisen, dass sie keine Ansprüche gegenüber dem russischen Staat haben und umgekehrt. Andernfalls werden diese Verbindlichkeiten gepfändet.

Ein Umstand, der enorme Auswirkungen haben dürfte, wenn das Haager Urteil auch in Großbritannien umgesetzt wird. Dort sind Tausende Personen, Firmen und Trusts ansässig, die auf vielfältige Weise mit russischen Staatsunternehmen verbunden sind. Auch in Deutschland wollen die Geschädigten von Yukos ihre Interessen durchsetzen. Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung hatte der Chef der Yukos-Nachfolgefirma GML Ende Mai angekündigt, eine Vollstreckung des Urteils beim Berliner Landgericht zu beantragen.

Der ehemalige Yukos-Eigner Chodorkowskij teilte auf Facebook seine Freude mit

Die russische Regierung stemmt sich derweil weiter entschlossen gegen das Gerichtsurteil: Die Zahlung der 50 Milliarden-Dollar-Entschädigung sei ausgeschlossen, sagte Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew am Donnerstag. Das Außenministerium bestellte den belgischen Botschafter ein, Außenminister Sergej Lawrow kündigte in einem Radio-Interview an, juristisch gegen die Pfändungen vorzugehen.

Das dürfte indes äußerst aufwendig werden. Mit der Teilnahme am Prozess vor dem Ständigen Schiedsgerichtshof in Den Haag hat sich die Russische Föderation verpflichtet, das Urteil anzuerkennen. Die Entscheidungen nationaler Gerichte, es zu vollstrecken, müssten nun in jedem Fall einzeln angefochten werden.

Der ehemalige Yukos-Eigner Michail Chodorkowskij begrüßte das Vorgehen. Mit Interesse verfolge er die nervösen Reaktionen auf die Vollstreckung des Haager Urteils, teilte Chodorkowskij mit, der nach der Zerschlagung seines Konzerns zehn Jahre in Lagerhaft verbrachte, bis er Ende 2013 von Wladimir Putin begnadigt wurde. Seitdem lebt er im Exil in Zürich. Er selbst gehörte nicht zu den Klägern, da er seine Anteile vor der Enteignung verkauft hatte.

Als russischer Bürger freue er sich aufrichtig über die Entwicklung, schrieb der einstige Oligarch auf Facebook. Das sei "ein bedeutender Moment für unser Land" und "ein Signal, dass Diebstahl nicht ungestraft bleibt, wie übermächtig der Dieb auch erscheinen mag". Die Entscheidung trage dazu bei, das Recht auf Eigentum in Russland zu stärken. Die Kläger haben angekündigt, mit den erstrittenen Mitteln humanitäre Projekte zu unterstützen.

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