Russland:Schaufensterkampf gegen Korruption

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Politik und Wirtschaft sind verflochten wie eh und je in Russland. Der Kreml kann deshalb die Festnahme des Wirtschaftsministers Alexej Uljukajew als hartes Durchgreifen präsentieren. Und sie lehrt viele das Fürchten.

Von Julian Hans

Auch Kritiker halten Wladimir Putin bis heute zugute, dass er die Macht der Oligarchen beendet hat. Jene Männer, die im Chaos der Privatisierung über Nacht zu Milliardären geworden waren, wurden bald nach seinem Einzug in den Kreml aus Politik und Medien hinausgedrängt. Entweder sie akzeptierten die neuen Spielregeln, oder sie fanden sich bald im Exil oder im Straflager wieder.

Das stieß auch im Westen auf Wohlwollen. Dass dabei weder Grundrechte noch die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit eine Rolle spielten, sahen viele dem neuen Präsidenten nach. Es ging ja um ein hehres Ziel. Skeptiker sahen schon damals ein Muster dahinter: Vorher hatten Leute mit Geld nach der Macht gegriffen, nun griffen Leute mit Macht nach dem Geld.

Im Ergebnis sind Politik und Wirtschaft heute nicht weniger verflochten als damals. Die Staatsquote liegt 25 Jahre nach dem Ende der sowjetischen Planwirtschaft wieder bei 70 Prozent. Minister, Staatsanwälte und Direktoren staatlicher Unternehmen führen heute das Leben von Oligarchen. Sie tragen Luxusuhren, bewohnen fantastische Schlösser und schippern auf gigantischen Yachten über die Weltmeere, die sie sich von ihrem offiziellen Gehalt unmöglich leisten könnten.

Die Nähe zur Macht ist das wahre Kapital in Putins Russland. Es lässt sich leicht in Geld konvertieren. Dass die Beamten sich damit verwundbar machen, steigert nur ihre Loyalität: Die Erpressbarkeit jedes Einzelnen hält das System zusammen.

Den Rosneft-Chef zu erpressen wäre Selbstmord aus Leichtsinn

Dass nun zum ersten Mal ein amtierender Minister der Korruption überführt und entlassen wurde, kann der Kreml als hartes Durchgreifen im Kampf gegen die Korruption verkaufen. Sie ist einer der Hauptgründe, warum die Menschen in Russland den Staat und seine Vertreter ablehnen. Am meisten beunruhigen soziale Probleme: steigende Preise, Armut, Arbeitslosigkeit. An vierter Stelle folgt die Korruption. Die Sanktionen gegen Russland bereiten nach einer Umfrage des Lewada-Instituts dagegen lediglich sieben Prozent der Menschen Kummer.

Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass der jetzt festgenommene Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew eine einsame weiße Taube war. Allein in seiner offiziellen Deklaration hat er Dollarmillionen angegeben, die mit seinem Ministeramt allein nicht erklärbar sind. Nicht aufgeführt sind Offshore-Konten, die auf Namen von Familienmitgliedern eröffnet wurden.

Doch vieles an der nächtlichen Überführung wirkt faul. Angefangen bei der Version der Ermittler, der Minister habe den Konzern Rosneft erpresst, bevor er seine Zustimmung zur Übernahme von Bashneft gab. Rosneft ist eines der mächtigsten Unternehmen Russlands, geführt von einem der mächtigsten Männer: Igor Setschin arbeitet seit Petersburger Tagen an der Seite von Wladimir Putin. Ein Minister ist im Vergleich dazu nur ein kleiner Beamter. Setschin zu erpressen wäre im System Putin Selbstmord aus Leichtsinn.

Überdies konnte der Wirtschaftsminister ohnehin nur eine Empfehlung abgeben. Entschieden wird über den Verkauf von Staatsanteilen in dieser Dimension im Kreml. Höchst ungewöhnlich sind schließlich auch die Bestechungssumme und die Art der Übergabe. Zwei Millionen sind weniger als ein Prozent der Verkaufssumme von 50 Milliarden. Und bestochen wird auf dieser Ebene gewöhnlich nicht in bar, sondern über Transaktionen im Offshore.

Für den Kreml und für Rosneft hat die spektakuläre Aktion viele Vorteile: Der Wirtschaftsflügel, der sich gegen zunehmende Isolation und eine immer höhere Staatsquote gestellt hatte, ist geschwächt. Putin hat sein erweitertes Umfeld erneut das Fürchten gelehrt. Und das Volk sieht scheinbar entschlossene Schritte im Kampf gegen die Korruption.

© SZ vom 17.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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