Russland:Russland spielt Sanktions-Roulette mit der Türkei

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Protest in Sankt Petersburg - Demonstranten halten vor dem türkischen Konsulat Papierflieger hoch, um den Abschuss eines Moskauer Kampfjets anzuprangern. (Foto: Alexander Demianchuk/TASS )
  • Nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets verschärft Russland die Wirtschaftssanktionen gegenüber der Türkei.
  • Russische Unternehmen dürfen keine türkischen Arbeitnehmer mehr einstellen, türkische Firmen in Russland bestimmte Dienstleistungen nicht mehr anbieten.
  • Für die Volkswirtschaften beider Länder sind die Maßnahmen ein herber Rückschlag.

Von Julian Hans, Moskau, und Mike Szymanski, Istanbul, Istanbul/Moskau

Im Streit um das von der Türkei abgeschossene russische Kampfflugzeug beschneidet Moskau die Wirtschaftsbeziehungen zu Ankara. Vom 1. Januar an brauchen türkische Staatsbürger ein Visum, um nach Russland einzureisen.

Türkische Unternehmen dürfen bestimmte Dienstleistungen auf dem russischen Markt nicht mehr anbieten, russische Unternehmen keine türkischen Arbeitnehmer beschäftigen. Russische Reiseveranstalter dürfen auch keine Reisen in die Türkei anbieten, Chartergesellschaften das Land nicht anfliegen. So steht es in einem Erlass des russischen Präsidenten Wladimir Putin, den der Kreml veröffentlichte.

Welche Waren und Dienstleistungen genau unter das Embargo fallen, soll die Regierung zu Wochenbeginn verkünden. Die Maßnahmen bedeuten einen herben Rückschlag für die Volkswirtschaften beider Staaten: Die türkische Wirtschaft wächst ohnehin langsamer als in den vergangenen Jahren, Prognosen sagen für 2015 etwa drei Prozent plus voraus. Vor allem aber Russland steckt in Schwierigkeiten: Das Wirtschaftsministerium erwartet für dieses Jahr einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 3,7 Prozent.

Den Schaden haben beide Seiten: Die Russen verkaufen Erdgas, die Türken bewirten Feriengäste

Russland ist für die Türkei der zweitwichtigste Handelspartner nach Deutschland. 2014 tauschten die beiden Länder Waren im Wert von mehr als 31 Milliarden Dollar aus. Davon fielen aber nur knapp sieben Milliarden auf türkische Exporte nach Russland; der Wert der russischen Exporte in die Türkei betrug dagegen mehr als 25 Milliarden Dollar. Die Türkei bezieht 60 Prozent ihres Erdgases aus Russland.

Ob die Pläne für den Bau der Pipeline Turkish Stream und der Plan für den Bau eines Atomkraftwerks durch den russischen Staatskonzern Rosatom von den Sanktionen betroffen sind, ist offen. Noch im September hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan in Moskau die Absicht erklärt, den zwischenstaatlichen Handel in den nächsten acht Jahren auf 100 Milliarden Dollar zu verdreifachen.

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Dem Leiter der russischen Tourismusbehörde Rosturism, Oleg Safonow, blieb keine andere Wahl, als Putins Entscheidung zu begrüßen. Der Präsidialerlass werde "gigantische positive Bedeutung für die Entwicklung des Tourismus in Russland haben", sagte er. Bald werde es in Russland Urlaubsmöglichkeiten von ähnlich hoher Qualität geben, wie sie die Russen bisher aus der Türkei gewohnt seien.

Der türkische Premierminister Ahmet Davutoğlu sagte, im Sinne guter nachbarschaftlicher Beziehungen seien die jüngsten Erklärungen aus Russland "nicht akzeptabel". Die Russen sollten die Verantwortung bei sich suchen. Schließlich hätten sie im Zuge ihrer Luftangriffe in Syrien wiederholt den türkischen Luftraum verletzt.

Präsident Erdoğan hatte am Wochenende zwar sein Bedauern über den Abschuss der russischen Su-24 über dem türkisch-syrischen Grenzgebiet bekundet. Er wünsche, es wäre nicht geschehen, sagte er. Putin reicht das aber nicht. Er erwartet eine förmliche Entschuldigung. Vorher sei er zu einem Treffen mit Erdoğan am Rande des Weltklimagipfels in Paris Anfang der Woche nicht bereit, hieß es aus dem Kreml.

Das Außenministerium in Ankara hat die Türken bereits aufgefordert, angesichts der angespannten Lage geplante Russland-Reisen zu verschieben. "Wir haben beobachtet, dass unsere Bürger Schwierigkeiten bekommen haben", teilte das Ministerium mit. In den vergangenen Tagen gab es vermehrt Berichte darüber, dass türkische Staatsbürger von russischen Behörden schikaniert worden seien.

Premier Davutoğlu kündigte unterdessen an, die Leiche des einen beim Abschuss getöteten Su-24-Piloten an Moskau zu übergeben. Der zweite Pilot war nach dem Abschuss von russischen und syrischen Truppen lebend aus dem syrischen Kampfgebiet geborgen worden.

© SZ vom 30.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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