Russland:Putin-Gegner liegt im Koma

Zum zweitem Mal erleidet Wladimir Kara-Murza ein Organversagen - wie andere russische Oppositionelle wurde er wohl vergiftet.

Von Julian Hans, Moskau

Der russische Oppositionelle Wladimir Kara-Murza ist erneut mit schweren Vergiftungserscheinungen in ein Moskauer Krankenhaus gebracht worden. Die vorläufige Diagnose laute "schwere Intoxikation durch eine unbekannte Substanz", sagte seine Frau Jewgenia Kara-Murza dem Sender BBC. Die Symptome glichen jenen bei seiner ersten Vergiftung 2015. Der 35-Jährige hatte am Donnerstag Herzrasen bekommen, danach begannen seine Organe zu versagen. Inzwischen hat sich sein Zustand stabilisiert. "Die Ärzte versuchen, ihn langsam aus dem Koma aufzuwecken, und beobachten, wie er darauf reagiert", so seine Frau.

Kara-Murza ist Koordinator der Bewegung Open Russia, die der ehemalige Oligarch Michail Chodorkowskij ins Leben gerufen hat und finanziert. Sie tritt für einen Machtwechsel in Russland ein. Bei der Parlamentswahl im September 2016 hatte Open Russia zwei Dutzend Kandidaten verschiedener Oppositionsparteien im Wahlkampf unterstützt. Kara-Murza selbst kandidierte nicht. Von seinem Posten als stellvertretender Vorsitzender der Partei Parnas trat er im Dezember nach einem Streit zurück und verließ die Partei.

Seit seiner Jugend engagiert sich der Sohn eines bekannten Journalisten in der Demokratiebewegung. Mit 18 Jahren schloss er sich dem Reformer Jegor Gaidar an, ein Jahr darauf wurde er als Berater des Abgeordneten und ehemaligen Vize-Premiers Boris Nemzow jüngster Mitarbeiter in der Duma. Er studierte in Cambridge und arbeitete als Korrespondent für einen russischen Fernsehsender in Washington.

Aus dieser Zeit stammen seine Kontakte zu zahlreichen US-Politikern, allen voran zu John McCain; der einflussreiche Außenpolitiker der Republikaner tritt für eine harte Linie gegen Wladimir Putin ein. Im Dezember 2012 setzte McCain in Washington das Sergej-Magnitskij-Gesetz durch, das Personen, die für Menschenrechtsverletzungen in Russland verantwortlich sind, die Einreise in die USA verwehrt und ihre Vermögen einfriert. Kara-Murza und Nemzow hatten für das Gesetz geworben. "Ich glaube, das war der wahre Grund für den Giftanschlag auf mich", sagte Kara-Murza der SZ im September.

Im Mai 2015 war der Oppositionelle schon einmal mit plötzlichem Organversagen in ein Krankenhaus gebracht worden. Als er nach Wochen im Koma zur Reha in die USA geflogen wurde, konnte die Ursache nicht mehr festgestellt werden. Trotz Warnungen kehrte er nach Russland zurück. Seine Frau und drei Kinder leben in Washington, während Kara-Murza mit einem Dokumentarfilm durchs Land reiste, den er über seinen Freund Boris Nemzow gedreht hatte. Nemzow war im Februar 2015 wenige Schritte vor den Toren des Kremls erschossen worden.

In der Regierungszeit Wladimir Putins wurden bereits mehrere Kremlkritiker Opfer rätselhafter Vergiftungen. 2003 starb der Journalist Jurij Schtschegotschichin wohl an den Folgen einer Vergiftung in einem Moskauer Krankenhaus. Zwei Jahre bevor sie im Eingang ihres Moskauer Hauses erschossen wurde, erlitt dessen Kollegin Anna Politkowskaja multiples Organversagen, nachdem ihr in einem Flugzeug offenbar vergifteter Tee serviert worden war. 2006 starb der Ex-KGB-Agent Alexander Litwinenko in London durch Polonium.

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