Militärparade in Moskau:Feier mit schrumpfender Gästeschar

Military parade marking anniversary of victory over Nazi Germany

Militärparade zum Tag des Siegs über Nazi-Deutschland: Auf dem Roten Platz in Moskau am 9. Mai 2014

(Foto: dpa)

Die Erinnerung an den Tag des Sieges über Nazi-Deutschland hält in Russland die Gesellschaft zusammen. Doch weil Moskau die Feierlichkeiten auch zur Machtdemonstration nutzt, wollen zum 70. Jahrestag viele westliche Regierungs- und Staatschefs nicht kommen.

Von Frank Nienhuysen

Der 9. Mai beginnt in Russland sehr viel früher. In den Moskauer Bussen, die täglich am Regierungssitz vorbei und über die Moskwa in Richtung Siegespark fahren, dröhnt schon lange vorher das Patrioten-Lied "Den' Pobedy" aus den Lautsprechern; an Kriegsveteranen werden Einladungen verschickt, und vor allem: Es beginnt die Vorbereitung für die große Militärparade auf dem Roten Platz, für den Tag des Sieges über Nazi-Deutschland.

In Alabino im Moskauer Umland fanden vor wenigen Tagen die ersten Proben auf dem militärischen Übungsgelände statt. Wer bei der jährlichen Siegesfeier zwischen Kremlmauer, Basilius-Kathedrale und dem Kaufhaus Gum die disziplinierte Choreografie erlebt hat, die synchron zur Seite geneigten Köpfe der Soldaten, die exakt justierte Kinnhöhe, die Winkel ihrer Armbeugen, der fragt sich: Reicht die Zeit überhaupt?

Russlands Planungen für den 70. Jahrestag des Sieges im Großen Vaterländischen Krieg schreiten jedenfalls voran - aber die Diplomatie macht Moskau erhebliche Sorgen.

Absagen, die Moskau schmerzen

Am Montag sickerte in die russischen Medien, dass auch Japans Ministerpräsident Shinzo Abe der großen Feier am 9. Mai fernbleiben wird. Insgesamt 68 internationale Staats- und Regierungschefs hat das russische Außenministerium eingeladen. Zugesagt haben etwa 30 - genügend, um zu überdecken, wie frustriert Moskau über die vielen Absagen ist.

Chinas Staatschef Xi Jinping und Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un werden nach Moskau kommen, die Präsidenten von Indien, Südafrika, Vietnam, der Mongolei. Und auch Europa ist vertreten: So werden Tschechiens Präsident Miloš Zeman sowie die Regierungschefs von Island, Griechenland, Mazedonien, Serbien und Norwegen erwartet, wie es noch vor wenigen Tagen hieß. Doch Norwegen hat inzwischen abgesagt. Und auch Israels Präsident Reuven Rivlin, auf den Russland gehofft hatte.

Was Moskau schmerzt: Der britische Premier David Cameron verzichtet ebenso auf die Siegesfeier wie US-Präsident Barack Obama, die Regierungschefs aus Polen, der baltischen und der meisten anderen EU-Staaten - unter ihnen die des sonst mit Russland befreundeten Bulgarien, der Niederlande und Deutschlands.

Bundeskanzlerin Angela Merkel wird am 9. Mai fehlen, reist aber immerhin einen Tag später nach Moskau, wo sie gemeinsam mit Russlands Präsident Wladimir Putin einen Kranz am Grabmal des unbekannten Soldaten niederlegen wird. Es sei angesichts der Entwicklung in der Ukraine für die Bundeskanzlerin nicht angemessen, der traditionellen Militärparade auf dem Roten Platz beizuwohnen, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Und auch mit Frankreichs Präsident François Hollande wird in Moskau kaum noch gerechnet.

Das alles war schon mal anders: Als in Moskau vor zehn Jahren des Endes des Zweiten Weltkriegs gedacht wurde, saßen noch US-Präsident George W. Bush und erstmals auch ein deutscher Bundeskanzler - Gerhard Schröder - auf der Tribüne. Doch die Zeiten sind gerade nicht danach, und Russland ist getroffen.

Auch auf der Krim paradiert das Militär

Wladimir Tschischow, Russlands Vertreter bei der Europäischen Union, sprach mit Blick auf den Absage-Reigen der westlichen Staaten von einer "anstößigen Kampagne, welche den an ihr teilnehmenden Politikern keine Ehre macht, und die das Gedenken an jene sowjetischen Soldaten beleidigt, die im Krieg gegen den Faschismus gefallen sind".

Merkel will genau das nicht, weshalb sie zwar nicht am 9. Mai, aber eben doch am 10. Mai nach Moskau reist, wenn keine neuen russischen Kampfjets und Hubschrauber die Tribünen überfliegen und Interkontinentalraketen über den Roten Platz gefahren werden.

Der 9. Mai und damit die Erinnerung an den Sieg ist für Russland einer der wichtigsten Tage im Jahr. Er gedenkt nicht nur der 27 Millionen sowjetischen Opfer des Krieges, er beschwört auch eine gemeinsame Vergangenheit der früheren Sowjetrepubliken, er ist identitätsstiftend für die russische Gesellschaft und spannt die Generationen zusammen. Enkelkinder schreiben auf die Heckscheiben ihrer Autos den Reim: "Spassibo dedu sa pobedu" (Danke Großvater für den Sieg) und gehen mit Eltern und den großelterlichen Veteranen essen.

Aber Moskau nutzt diesen Tag auch zur modernen Waffenschau, zur Botschaft, dass Russland eine große Militärmacht ist. Und deshalb hagelt es Absagen von Staaten, die Russlands Annexion der Halbinsel Krim und seine Rolle im Krieg in der Ostukraine mit Sanktionen beantworten. Sie wollen nicht auch noch zuschauen, wie vor ihren Augen demonstrativ Panzer und Flugabwehrsysteme von links nach rechts gezogen werden. Denn Moskau fährt im Mai mächtige Geschütze auf.

In 28 russischen Städten sind große Militärparaden geplant, in zwölf weiteren Siegesmärsche samt Militärtechnik. Allein in Russland sollen - so präzise plant das Verteidigungsministerium - 78 653 Armeeangehörige teilnehmen, 1880 Rüstungsgüter, 51 Kriegsschiffe. Das sind 15 000 Menschen mehr als beim Jubiläum vor fünf Jahren.

Was den Westen abstößt

Der Oppositionelle Leonid Wolkow schreibt in seinem Blog: "Der Siegestag ist immer so ein schöner, heller Feiertag gewesen. In diesem Jahr ist es Waffengeklirre, Propaganda und Geschwätz."

Was den Westen vor allem abstoßen dürfte: Worte wie die von Sergej Iwanow, des Leiters der Kreml-Verwaltung, der sagte, "zweifellos werden die feierlichen Ereignisse auf der Krim eine besondere Bedeutung haben". Militärparaden also auch dort, in Kertsch und in Sewastopol.

Die Ukraine zieht ihre eigenen Konsequenzen. Präsident Petro Poroschenko unterzeichnete einen Erlass, der symbolisch erstmals zwei Feiertage vorsieht: den traditionellen 9. Mai, der für die Staaten der früheren Sowjetunion das Ende des Weltkrieges markiert, und nun auch den 8. Mai, den Gedenktag der anderen Staaten.

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