Russland:Nur Mono läuft nichts mehr

Russland: Alles kreist um eins: Das sibirische Mirny ist eine der Städte, die in Sowjetzeiten wegen eines Rohstoffs entstanden - hier waren es Diamanten.

Alles kreist um eins: Das sibirische Mirny ist eine der Städte, die in Sowjetzeiten wegen eines Rohstoffs entstanden - hier waren es Diamanten.

(Foto: AP)

In Russland stecken Städte tief in der Krise, die um einen einzigen Industriezweig, oft nur um ein einziges Werk gebaut wurden. Nicht allen ist zu helfen.

Von Frank Nienhuysen

Es gibt ein sehr schönes Bild von Schireken, man sieht aus der Ferne, wie es in einem weiten Tal liegt, eingefasst von Wald und sanften Hügeln. Es gibt andere, die zeigen, dass das blaue Dach der orthodoxen Kirche das vielleicht Bunteste in dieser sibirischen Industriestadt ist. Schireken ist eher eine praktische, nüchterne Siedlung. Reihen mehrstöckiger, weiß-grauer Häuserblocks, ein schmuckloser Platz mit Bänken, aber ohne Bäume. Es gibt eine Schule, einen Kindergarten, eine Klinik, ein Kulturhaus, eine Post, ein paar Geschäfte. Und die Abhängigkeit von einem Metall.

In den Fünfzigerjahren fanden Geologen in der ostsibirischen Region Molibdän, das zur Herstellung von Edelstahl verwendet wird. Daraufhin entstand die Siedlung Schireken, dann wurde das Schirekener Kombinat gebaut. Seitdem sind Werk und Einwohner aneinandergekettet, im Guten wie im Schlechten. Eine typische russische Monostadt. Aber das Werk hat vor anderthalb Jahren zugemacht, und jetzt hat Schireken ein Problem. "Die Menschen verlassen den Ort, versuchen näher Richtung Moskau zu gehen", sagt Sergej Grigorjew, herausgebender Redakteur der sibirischen Regionalzeitung Wetschorka, "und wer bleibt, hofft auf Hilfe, und dass es doch noch irgendwie weitergeht. Aber das Werk steht still, ich kann nichts Gutes sagen."

Monostädte, um einen einzigen Industriezweig herum gebaut, oft nur um ein einziges Werk, gehören zu den Hinterlassenschaften der planwirtschaftlichen Sowjetära. Damals sind Hunderte von ihnen entstanden, viele in Sibirien und am Ural, wo es Bodenschätze gibt - und der Weg sehr weit ist bis zum nächsten Ort. Manche Städte tragen die Industrie in ihrem Namen, heißen Nickel, Asbest oder Warmer Berg. "Ein starkes Werk - eine blühende Stadt", das Motto hat sich bis heute gehalten. Und es gibt positive Beispiele wie die innovative Forschungsstadt Dubna im Raum Moskau, wo die Gleichung funktioniert. Und doch ist die Regierung extrem besorgt. Russlands Monostädte sind in Gefahr, und Moskau schlägt Alarm.

Es war Ministerpräsident Dmitrij Medwedjew, der vorige Woche die Sorgen bei einer Reise nach Sibirien offen ansprach. Die Mehrheit der Monostädte befinde sich in einer Risikozone, sagte der Premier. "In unserem Land gibt es 319 Monostädte, und nur bei 71 von ihnen kann man die sozialwirtschaftliche Lage als stabil bezeichnen." Etwa 80 Prozent all dieser Städte bräuchten besondere Aufmerksamkeit und die Unterstützung durch die Regierung, sagte Medwedjew. Doch er machte auch klar, dass nicht genug Geld vorhanden sei, um alle hilfebedürftigen Monostädte gleichzeitig zu retten. Der Staat leidet unter dem schwachen Rubel, den niedrigen Energiepreisen. Und die Industriestädte kämpfen mit sinkender Nachfrage und dem Preisverfall. Es ist ein Strukturproblem seit der Umstellung auf die Marktwirtschaft, aber ganz hängen lassen will Moskau die Städte auch nicht.

Im vorigen Jahr richtete es einen Unterstützungsfonds für die Monostädte ein, die dadurch definiert sind, dass mindestens jeder Fünfte der arbeitenden Einwohner in einer einzigen Branche beschäftigt ist. Etwa 475 Millionen Euro stehen Moskau zur Verfügung, aber das Problem ist größer als dieser Topf. Bis 2017 könne die Regierung damit höchstens 30 der kriselnden Städte helfen, sagte Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew. Deshalb suchen sie nach weiteren Wegen. Im Gespräch sind steuerfreie Entwicklungszonen, die um die Orte herum geschaffen werden sollen, als Stimulanz für investitionswillige Unternehmen.

Nach Ansicht von Sergej Sobko, dem Vorsitzenden des Industrieausschusses in der Duma, reicht all das nicht aus. Der Fonds sei zu spät gekommen, sagte er dem Radiosender Echo Moskaus. Viele Experten in Russland meinen, dass die meisten Monostädte ohnehin ihre Zeit hinter sich hätten, es vielleicht besser sei, sie sterben zu lassen, als mit fragwürdiger Aussicht in veraltete und komplizierte Infrastruktur zu investieren. Vor allem in Sibirien macht die klimatische Amplitude zu schaffen, heiße Sommer, bitterste Kälte im Winter. Schireken etwa liegt ein paar Kilometer von der Transsibirischen Eisenbahn entfernt, aber 400 Kilometer vom nächsten Flughafen. Wirtschaftsexperten haben ausgerechnet, dass es etwa 80 Millionen Euro kosten würde, die Bevölkerung von Schireken umzusiedeln und ihnen woanders Wohnraum zu verschaffen. Dabei hat die Kleinstadt nur ein paar Tausend Einwohner, andere Städte wie Norilsk sind weitaus größer.

An kernigen Ratschlägen mangelt es nicht. Anatolij Sitnow etwa, ein Generaloberst, antwortete auf Argumenti.ru auf Medwedjews warnende Bilanz: "Den Monostädten muss man einfach Arbeit geben, und Schluss! Und wenn Medwedjew sagt, dass die Regierung nicht genug Geld für die Unterstützung aller habe, dann muss man eben Medwedjew entlassen."

Der Ruf nach dem Versorgungsstaat ist weit verbreitet

Die Zentrale müsse sich kümmern, der Ruf nach dem Versorgungsstaat - in Russland ist diese Haltung noch immer weit verbreitet. Und sie wird mitunter auch bedient, denn eine Sorge ist groß: dass auf Wirtschaftsprobleme Unzufriedenheit folgt, daraus wiederum Protest. Das Beispiel Pikaljowo, auch so eine Monostadt, hat niemand vergessen. Es war 2008, als in der Stadt 200 Kilometer von St. Petersburg entfernt, das Zementwerk geschlossen wurde. Die Gewerkschaft schrieb einen Bittbrief nach dem anderen, forderte die Fortsetzung des Betriebs, die Auszahlung der Gehälter. Nichts passierte. Dann blockierten ein paar Hundert Arbeiter die Fernstraße zwischen Petersburg und Wologda. Zigtausende Autos stauten sich. Kurz darauf flog Wladimir Putin ein. In einem kleinen Raum, in dem sonst die Gewerkschaftsversammlungen stattfanden, zwang er den Unternehmer Oleg Deripaska vor Kameras zur Unterschrift, die das Werk wieder in Gang brachte. Dann forderte er von dem bedröppelten Milliardär auch noch schneidend den Kuli zurück.

Ein Zehntel der Bevölkerung Russlands lebt in Monostädten. Doch allen ist klar: Putin kann in Zeiten der Wirtschaftskrise nicht in jede Stadt reisen und im Handstreich unrentable Betriebe sanieren, gefallene Weltmarktpreise abfangen, künstliche Nachfrage schaffen. In den meisten Orten fehlt die gesunde Konkurrenz, der Mix verschiedener Branchen. Etwas, das im Großen dem ganzen Land fehlt, das sich noch immer nicht aus seiner Abhängigkeit von Energieexporten gelöst hat. "Überleben könnten die Städte ja schon", sagte Boris Lewjant, Generaldirektor des Architekturbüros ABD, "sie müssen nur endlich aufhören, mono zu sein."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: