Russland:Murren in Moskau

Der Kreml ist unzufrieden mit der Verfassungsreform in der Ukraine. Außenminister Lawrow forderte am Dienstag, der Sonderstatus des Donbass müsse ausdrücklich in der Verfassung erwähnt werden. Anspielungen genügten nicht.

Von Julian Hans, Moskau

Nicht nur in Kiew gab es heftige Proteste gegen die am Montag in erster Lesung verabschiedete Reform der ukrainischen Verfassung. Auch in der russischen Hauptstadt ist man unzufrieden mit der Reform. Die Gründe sind indes auf beiden Seiten entgegengesetzt. Der Streit geht um die Auslegung von Punkt 11 der Minsker Vereinbarung. Darin wird festgelegt, dass die Ukraine in ihrer Verfassung eine Dezentralisierung festschreibt. Diese soll bis Ende des Jahres in Kraft treten. In Klammern ist hinzugefügt, dass bei der Dezentralisierung "die Besonderheiten der Regionen Donezk und Luhansk" berücksichtigt werden und "mit den Vertretern dieser Regionen abgestimmt" werden.

Moskau will, dass Poroschenko mit den Separatisten verhandelt

Dagegen richtete sich der Protest ukrainischer Nationalisten vor dem Parlament in Kiew am Montag. Präsident Petro Poroschenko und die Regierungsparteien in der Werchowna Rada hatten einen Entwurf vorgelegt, in dem der Sonderstatus des Donbass nicht ausdrücklich erwähnt wird. Das wiederum ist den Separatisten und dem Kreml nicht genug. Der Entwurf nehme dem Gebiet seine Souveränität, sagte Separatistenführer Alexander Sachartschenko am Dienstag laut der russischen Nachrichtenagentur Interfax. Von Beginn des Minsk-Prozesses an wiederholt die Führung in Moskau die Forderung, dass Poroschenko mit den von Russland unterstützten Separatisten direkt verhandeln soll. Auf Augenhöhe, wie unter Gleichen. Für Poroschenko ist das in der Ukraine nicht vermittelbar.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow forderte am Dienstag bei einer Rede vor Studenten in Moskau, der Sonderstatus des Donbass müsse ausdrücklich in der Verfassung erwähnt werden. Stattdessen stehe in dem Entwurf nur "eine halbe Anspielung". Es sei "nicht sehr transparent und nicht sehr verständlich, was diesen Regionen versprochen wird", sagte Lawrow. "Statt solcher verwaschener und nebulöser Versprechungen, müssen die Regierenden in Kiew explizite Vorschriften über die Selbstverwaltung und den besonderen Status der Regionen des Donbass einschließen."

Am Dienstag starben zwei weitere Mitglieder der ukrainischen Nationalgarde, die am Montag bei den Unruhen vor der Rada verletzt worden waren. Noch etwa 130 Verletzte wurden in Krankenhäusern behandelt. Die für die Ostukraine vereinbarte Waffenruhe wird weitgehend eingehalten. Sowohl die ukrainischen Regierungstruppen als auch die Separatisten stellten am Dienstag das Feuer ein, sagte eine Sprecherin der Kontaktgruppe. Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hätten vereinzelt Schusswechsel von Waffen mit einem Kaliber von unter 100 Millimetern gehört, sagte ein OSZE-Sprecher der Deutschen Presseagentur.

Die Aufständischen und die ukrainische Regierung hatten unter Vermittlung der OSZE in der vergangenen Woche ein Ende der Gewalt vereinbart, um einen ruhigen Beginn des neuen Schuljahres zu ermöglichen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: