Russland:Moskaus Angst vor einem heiligen Krieg

Gebet vor der Sobornaya-Moschee in Moskau

Gebet vor der Sobornaya-Moschee in Moskau: Allein in der russischen Hauptstadt leben drei Millionen Muslime.

(Foto: Yuri Kochetkov/dpa)
  • Das Engagement russischer Truppen in Syrien weckt Ängste, muslimische Terroristen könnten Anschläge in Russland verüben.
  • Unvergessen sind die Angriffe islamistischer Terroristen auf das Musical-Theater Dubrowka, Beslan, die Moskauer Metro und den Flughafen Domodedowo.
  • Schon jetzt haben Dschihadisten im Kaukasus dem IS die Treue geschworen, schätzungsweise 2000 bis 5000 russische Staatsbürger sollen schon jetzt auf Seiten des IS in Syrien kämpfen.

Von Julian Hans, Moskau

Die Drohung kam noch, bevor Russland an der Seite des Diktators Baschar al-Assad in den syrischen Krieg eingegriffen hatte: "Diese Nachricht ist für dich, Wladimir Putin", hieß es in einer Videobotschaft, die Anführer der Terrormiliz Islamischer Staat verbreiteten. "Deine Flugzeuge, die du Baschar geschickt hast, werden wir mit dem Willen Allahs an dich zurücksenden, vergiss das nicht!"

Das war im September 2014, und in den Flugzeugen, von denen die Rede war, saßen Assads Piloten. Nachdem seit vergangenem Mittwoch russische Piloten Bomben über Syrien abwerfen, wächst die Angst, dass die Gewalt nach Russland zurückschlagen könnte, wo 20 Millionen Muslime leben, davon drei Millionen in der Hauptstadt.

Die Zeit, in der spektakuläre Anschläge Russland erschütterten, liegt einige Jahre zurück; die Geiselnahme im Musical-Theater Dubrowka, die Tragödie von Beslan, die Anschläge auf die Moskauer Metro und den Flughafen Domodedowo hatten ein Gefühl von Verunsicherung und Bedrohung verbreitet. Mit unablässigen Anti-Terror-Einsätzen haben die Sicherheitskräfte die Kämpfer aber weitgehend unter Kontrolle bekommen. Der letzte große Anschlag jenseits der Unruhe-Republiken im Nordkaukasus ereignete sich vor Beginn der olympischen Spiele in Wolgograd. Aber es blieb bei der Drohung, den Terror auch nach Sotschi zu tragen, die Spiele verliefen ohne Zwischenfälle.

Bald könnten sich in Syrien bewaffnete Russen als Feinde gegenüberstehen

Der Einsatz in Syrien könnte diese relative Ruhe beenden, befürchtet der Orientalist Alexej Malaschenko, der am Moskauer Carnegie-Institut das Programm "Religion, Gesellschaft und Sicherheit" leitet. "Moskau muss sich auf neuen Terror gefasst machen", urteilt er. Der IS sei "bei Weitem nicht nur ein Krebsgeschwür oder die Folge einer Deformierung des Islam durch westliche Geheimdienste", wie einige russische Politiker glaubten. "Viele in der islamischen Welt empfinden den Kampf gegen den IS als Kampf gegen den Islam. Bis vor Kurzem hat Russland an diesem Kampf nicht teilgenommen."

Dass Moskau nun mit Damaskus, Teheran und der Hisbollah in einer schiitisch-alawitischen Koalition auf mehrheitlich von Sunniten bewohntem Gebiet Bomben abwirft, wirkt für viele wie eine Parteinahme in einem Konflikt zwischen den Konfessionen. Am Montag riefen 50 saudische Geistliche die Muslime zu einem Dschihad gegen die syrische Regierung und ihre Verbündeten auf. "Das ist ein Krieg gegen die Sunniten, ihre Länder und ihre Identität", hieß es in einer Mitteilung. Am selben Tag erklärten mehr als 40 syrische Rebellengruppen den russischen Streitkräften den Krieg, um "unser Land von zwei Okkupanten zu befreien: dem Iran und Russland".

Treueschwüre an IS-Führer Abu Bakr al-Bagdadi

Einen heiligen Krieg hatten wenige Tage zuvor noch andere Geistliche verkündet. "Der Kampf gegen den Terror ist ein heiliger Kampf", sagte Oberpriester Wsewolod Tschaplin, in der Synode der Russische Orthodoxen Kirche verantwortlich für den Dialog zwischen Kirche und Gesellschaft, als am vorigen Mittwoch die ersten Bomben fielen.

Zwar ist der Islam offiziell gleichgestellt mit Orthodoxie, Buddhismus und Judentum. Aber mit dem zunehmenden Nationalismus bekam die Kirche in den letzten Jahren faktisch eine Sonderrolle. Andererseits hat der Widerstand gegen die russische Herrschaft seit Auflösung der Sowjetunion immer stärker eine religiöse Färbung. Waren es im ersten Tschetschenienkrieg noch ehemalige sowjetische Offiziere, die 1994 bis 1996 für nationale Unabhängigkeit von Moskau kämpften, traten im zweiten Krieg 1999 bis 2009 Islamisten an ihre Stelle und deuteten den Unabhängigkeitskrieg um zum Dschihad.

2007 rief ihr Anführer Doku Umarow ein Kaukasisches Emirat aus, das von Anfang an Verbindungen zu al-Qaida unterhielt. Als dessen Führung unter dem Druck russischer Spezialkräfte zerbröselte, war der Zeitpunkt für den IS günstig, in das Vakuum zu stoßen. Nachdem russische Spezialkräfte im April Aliaschab Kebekow getötet hatten, einen Nachfolger des 2013 getöteten Umarow an der Spitze des "Kaukasus-Emirats", war die Organisation führerlos. Daraufhin schworen Terroristen in vier von sechs Provinzen des "Emirats" - Dagestan, Tschetschenien, Inguschetien, Kabardino-Balkarien - dem IS-Führer Abu Bakr al-Bagdadi die Treue und baten ihn um Unterstützung. Im Juni rief IS-Chef Abu Muhammad al-Adnani eine eigene IS-Provinz (Wilaya) aus.

Das allein muss nicht unbedingt eine zusätzliche Gefahr für Russland bedeuten, folgert die Terrorismus-Expertin Harleen Gambhir in einer Studie für das Institute for the Study of War. Zum einen würden bereits bestehende Terrorgruppen lediglich anderen Führern die Treue versprechen. Zum anderen entstehe auch "eine neue Front im Kampf zwischen dem IS und al-Qaida im Kampf um die Führerschaft in der globalen Dschihad-Bewegung". Allerdings sieht Gambhir die Gefahr, "der IS könnte den Tschetschenien-Konflikt neu beleben und damit seiner Taktik folgen, regionale Konflikte anzufeuern".

In Syrien kämpfen viele Tschetschenen - auf Seiten des IS

Das Tschetschenen-Oberhaupt Ramsan Kadyrow sandte vergangene Woche ein Zeichen, dass die Muslime des Kaukasus hinter der Syrien-Operation stehen und bot an, seine Truppen nach Syrien zu schicken: Als "Muslim, Tschetschene und russischer Patriot" habe er auf den Koran geschworen, "Terroristen zu bekämpfen, wo sie auch seien".

In Syrien aber kämpfen bereits viele Tschetschenen - allerdings auf Seiten des IS. Zwischen 2000 und 5000 russische Staatsbürger sollen sich laut russischen Schätzungen der Terrormiliz angeschlossen haben. Wenn aber an der Levante-Küste Russen gegen Russen kämpfen, wäre das ein weiterer Weg, auf dem der Konflikt in die Heimat getragen würde.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: