Russland:Mit Desinteresse gestraft

Russland Ukraine

Viele Russen leiden unter den Folgen des Ukraine-Konflikts. Dennoch stehen die meisten hinter ihrer Regierung. Das hat auch mit den Medien zu tun.

Von Frank Nienhuysen

Vor ein paar Tagen plauderte Sergej Schoigu recht ungeniert über einige militärische Neuigkeiten im Südwesten Russlands. Dort stünden nun vier Divisionen, neun Brigaden, 22 Regimenter und zwei Raketenbrigaden, ausgestattet mit dem Kurzstreckenraketen-System Iskander. "Hätte ein einfacher Beamter dies erzählt, hätte er längst ein Gespräch mit freundlichen Menschen der Spionageabwehr geführt", schrieb die Nesawissimaja Gaseta. Aber es war der russische Verteidigungsminister selbst, der damit offenbar die Botschaft streuen wollte, mit Moskau führe man besser einen Dialog als einen Krieg.

Russland hat seine eigene Sicht auf den Konflikt im Osten der Ukraine. Sie lässt sich so zusammenfassen, dass es sich wappnet vor der heranrückenden Nato und einem ukrainischen Nachbarn, den es mitunter warnen müsse vor militärischen Abenteuern. Neulich erst hat Präsident Wladimir Putin Kanzlerin Angela Merkel aufgefordert, sie und Frankreichs Präsident François Hollande müssten ihren Einfluss in Kiew nutzen und zur Deeskalation des Konflikts beitragen. Moskau hat die Krim annektiert und unterstützt die Separatisten in der Ostukraine, doch Russlands Bevölkerung bekommt den Eindruck vermittelt, sie müsse nun beschützt werden.

Aus der slawischen Bruderschaft zwischen Russland und der Ukraine ist politisch praktisch eine Feindschaft geworden; und es ist nicht absehbar, dass sich daran etwas ändern könnte, solange Kiew Kurs hält: nämlich den Richtung Westen. Kaum eine Woche vergeht ohne neue Kalamitäten. Vor wenigen Tagen erklärte die ukrainische Regierung, sie werde die Importe von 243 russischen Unternehmen stoppen, die in den Separatistengebieten des Donbass Geschäfte machten - woraufhin die russische Duma flugs vorschlug, sich mit einem Gegenboykott zu revanchieren. In den russischen Medien wird bereits spekuliert, dass der russische Botschafter in Kiew, Michail Surabow, vor wenigen Tagen auch deshalb seinen Posten verlassen hat, weil ihm ein zu gutes Verhältnis zum ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko nachgesagt wurde.

Wirtschaftlich können sich beide Länder das schlechte Verhältnis eigentlich nicht leisten. Der niedrige Ölpreis, aber auch die Sanktionen des Westens, haben Russland arg getroffen. Die Wirtschaft schrumpft, wenngleich zuletzt nicht mehr ganz so stark wie am Jahresanfang. Dazu wiederum trägt vor allem das selbst auferlegte Einfuhrverbot von Lebensmitteln aus der Europäischen Union bei. Die meisten Grundnahrungsmittel sind in Russland spürbar teurer geworden, so dass die Bevölkerung ein Umdenken einfordern könnte. Der Putin-Freund und ehemalige langjährige Finanzminister Alexej Kudrin hat genau das getan und Moskau einen Abbau der geopolitischen Spannungen empfohlen - der heimischen Wirtschaft zuliebe. Putins Antwort: Russland könne eine tausend Jahre lange Geschichte vorweisen und werde nun nicht anfangen, über seine Souveränität zu verhandeln.

Kudrin ist einer der wenigen gewesen, die überhaupt öffentlich einen Zusammenhang zwischen Außenpolitik und Wohlstandsniveau herstellten. Das Interesse der Bürger am Geschehen in der Ukraine ist ohnehin nach zwei Konfliktjahren deutlich gesunken. Schon der Beginn des russischen Militäreinsatzes in Syrien Ende September vorigen Jahres verlagerte rapide die Aufmerksamkeit nach Nahost, seitdem ist das Interesse am Ukrainekonflikt eher mäßig geblieben (siehe Grafik oben).

Selbst wenn das Interesse wieder zunehmen sollte, so haben der Konflikt und die Berichterstattung in den staatlich beherrschten Medien tiefe Spuren hinterlassen. Alexej Lewinson, Soziologe am unabhängigen Lewada-Zentrum, sagt, für die meisten Russen sei es "völlig unverständlich, dass die Ukraine sich für Europa entschieden hat und sich tagtäglich von Russland und dessen Weg entfernt". Für sie sei dies die "größte Sünde" der Ukraine überhaupt. Viele empfinden aus alter Sowjetverbundenheit beide Länder sogar wie ein einziges. Alle Informationen, die nicht dem Bild aus dem russischen Fernsehen entsprächen, "werden einfach abgelehnt". Und das Bild ist eindeutig: Es ist das eines Landes, in dem Chaos herrscht. "Die Ukraine hat weder eine Industrie noch einen Staat", merkte Ministerpräsident Dmitrij Medwedjew einmal süffisant an. Wer in Russland dennoch Verständnis für den Westkurs der Ukraine aufbringt, muss damit rechnen, denunziert zu werden. Das trauen sich nur wenige.

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