Russland:Mit allen Mitteln

Bei den Regional- und Kommunalwahlen hatte die oppositionelle "Demokratische Koalition" gegen die Parteien des Kreml keine Chance.

Von Julian Hans, Moskau

Auch nach der Wahl war der Kampf für die Gegner von Alexej Nawalny offenbar noch nicht beendet. Als der Oppositionelle am Morgen in Kostroma zu seinem Auto kam, fand er es über und über mit US-Flaggen beklebt. Die Aktion war der vorläufige Abschluss einer Schmierenkampagne, die staatliche Medien und Kreml-nahe Gruppen gegen die Demokratische Koalition führten, deren Parteien sich gegen den Kurs von Präsident Wladimir Putin stellen.

Während fast 200 Wahlkampfveranstaltungen im Gebiet Kostroma, etwa 300 Kilometer nordöstlich von Moskau, hatten die Unterstützer der Demokratischen Koalition harten Gegenwind bekommen: In den Briefkästen der Bewohner landete eine "Gay-Zeitung", in der behauptet wurde, die Kreml-Gegner wollten die Homo-Ehe in Russland einführen. Anonyme Flugblätter beschuldigten sie, im Auftrag der USA einen faschistischen Staatsstreich zu planen.

Ein falscher Diplomat übermittelte in schlechtem Russisch Grüße von der US-Botschaft

Kreml-Medien verbreiteten das Gerücht, US-Diplomaten hätten Nawalny und seine Mitstreiter in Kostroma getroffen. Offenbar zur Erhärtung dieser Geschichte fuhr bei einer Wahlkampfveranstaltung sogar ein Wagen mit diplomatischen Nummernschildern vor, ein farbiger Mann stieg aus und überbrachte in schlechtem Russisch Grüße von der US-Botschaft. Weder die Nummernschilder noch der Diplomat waren echt.

Ein Kandidat wurde während des Gesprächs mit Wählern festgenommen. Am Wahltag selbst stürmten Polizisten ein Büro der Organisation Offenes Russland, die von dem ehemaligen Yukos-Chef Michail Chodorkowskij unterstützt wird. Erst hieß es, die Ermittler gingen Hinweisen nach, dort sei eine Leiche versteckt. Die Mitarbeiter, die eigentlich die Wahl beobachten sollten, wurden erst in der Nacht wieder freigelassen.

Dabei war von Anfang an allen klar, dass die Gegner der herrschenden Führung nicht den Hauch einer Chance hatten, die Verhältnisse zu ändern. Insgesamt fast 11 000 einzelne Wahlen wurden am Sonntag in Russland abgehalten, die meisten davon auf kommunaler Ebene. In 21 Regionen standen die Gouverneure zur Wahl, elf Regionalparlamente wurden neu bestimmt.

Bei vier Wahlen wollte die Demokratische Koalition antreten: In Magadan und Nowosibirsk lehnten die Wahlkommissionen die Listen mit der Begründung ab, von den Unterschriften, die die Partei für ihre Registrierung sammeln musste, seien viele ungültig. Im Gebiet Kaluga gaben die Kreml-Gegner von selbst auf. Nur im Gebiet Kostroma setzten sie ihre Teilnahme erfolgreich vor Gericht durch.

Die Staatsmedien feierten den "Einheitlichen Wahltag" als Erfolg. Die Kreml-Partei Einiges Russland lag überall im Land klar vorn, gefolgt von den Kommunisten, der rechtspopulistischen LDPR und der Partei Gerechtes Russland, die alle zur sogenannten Systemopposition gehören, also politische Konkurrenz nur simulieren. Die vom Präsidenten eingesetzten Gouverneure bekamen bis auf eine Ausnahme aus dem Stand mehr als 50 Prozent. Allein im Gebiet Irkutsk muss der Kandidat von Einiges Russland in die Stichwahl gegen einen Kommunisten. Der Oppositionelle Ilja Jaschin, der in Kostroma als Spitzenkandidat der Partei Parnas angetreten war, räumte am Montag seine Niederlage ein: "Die Fünfprozenthürde haben wir nicht geschafft."

Zur Demokratischen Koalition hatten sich im Frühjahr fünf Parteien zusammengeschlossen, die nicht in der Staatsduma vertreten sind. Darunter die "Partei der Volksfreiheit" Parnas, die seit der Ermordung von Boris Nemzow nur noch einen Vorsitzenden hat, den Ex-Premier Michail Kasjanow. Und die neu gegründete Partei des Anti-Korruptions-Aktivisten Alexej Nawalny.

Die Wahlbeobachter-Organisation Golos zog in ihrem vorläufigen Abschlussbericht am Montag ein bitteres Fazit: Regierung und Wahlkommissionen hätten bei der Auswahl der Parteien und Kandidaten und im Wahlkampf massiv Einfluss ausgeübt, heißt es darin. Die Ergebnisse der allermeisten Wahlen hätten schon vorher festgestanden.

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