Russland:Manchmal Licht

Man muss das Verhältnis zwischen Deutschland und Russland nicht schönreden, aber dennoch sind die Zustände jenseits der Politik freundlicher, als sie gelegentlich erscheinen.

Von Sonja Zekri

Der Skandal der Saison in Moskau ist die Absetzung eines Balletts über Rudolf Nurejew am Bolschoi-Theater, und er zeigt das Wunderbare und das Bedrückende der deutsch-russischen Beziehungen. Der russische Regisseur Kirill Serebrennikov hatte das Stück über Nurejew inszeniert, den sowjetischen Superstar, der sich in Paris mit jenem berühmten Sprung in den Westen rettete, der Männer und Frauen liebte und an Aids starb. Einen Tag nach der Generalprobe sagte die Theaterleitung die Premiere ab: Das Stück sei noch nicht "aufführungsreif".

Ganz Moskau rätselt nun über andere Gründe. Richard Avedons Foto des nackten Nurejew als Bühnenbild, der Regisseur Serebrennikov ein bekennender Schwuler und Kritiker der russischen Autokratisierung, als Leiter des Moskauer Gogol-Theaterzentrums überdies seit Monaten im Visier der Behörden - da hätte man direkt von einem Wunder sprechen können, wäre es zur Premiere gekommen, zumal im nationalheiligen Bolschoi, der meistbeachteten Bühne des Landes.

Deutschland trägt schwer an dem gewaltigen Nachbarn im Osten

Wer auch immer in Deutschland Russlands homophobe Gesetze, die nationalistische Ideologie, die orthodoxe Engstirnigkeit beobachtet - er findet hier einen neuen beklagenswerten Fall. Russland, so der Eindruck, hat doch eh zu viel angehäuft: Die Unterstützung für Verbrecher wie Syriens Präsident Baschar al-Assad, die Annexion der Halbinsel Krim und der Schutz ukrainischer Separatisten mit ihrem Netz von Arbeitslagern, die als Multilateralismus verkaufte Großmachtpolitik - mit all dem hat das Land doch bereits das europäische Wertesystem hinter sich gelassen. Zwei Jahre lang tagte der Nato-Russland-Rat wegen der russischen Ukraine-Politik nicht, nun traf er sich wieder - und schloss die Begegnung ohne Ergebnis. Es sind Gespräche mit einem, der fast schon ein Feind war, und der schwierig bleiben wird.

Und nun "Nurejew". Gemessen am Syrien-Krieg eine Kleinigkeit, könnte man sagen, und doch: War Russland in den vergangenen 25 Jahren je ferner? War es seit dem Ende des Kalten Krieges je fremder?

Dabei wirft gerade dieser Fall ein Licht darauf, wie nahe Russland, das andere, politikferne Russland - oder sollte man besser sagen: die Russen? - Deutschland inzwischen gerückt sind. Kirill Serebrennikov ist einer der gefragtesten Regisseure - in Russland und in Deutschland. Er hat an der Komischen Oper in Berlin einen umwerfenden "Barbier von Sevilla" inszeniert, im Herbst will er in Stuttgart die Märchenoper "Hänsel und Gretel" auf die Bühne bringen. Serebrennikov gehört zum internationalen Spitzenpersonal der Künste, zu jenen Namen, mit denen sich jede Stadt gern schmückt. Dass er Russe ist, bestätigt eine jahrhundertelange Verbindung, ja, Verschmelzung der deutschen und der russischen Kultur, die immer Höhen und Tiefen kannte.

Wer russische Künstler auf allerhöchstem Niveau erleben möchte, muss nur nach München fahren. Kirill Petrenko, Igor Zelensky und Valery Gergiev: Staatsoper, Staatsballett und Philharmoniker sind unter russischer Leitung - das bekommt der Stadt hervorragend. Und solange Valery Gergiev sich nicht politisch äußert, scheint das Publikum nicht einmal zu bemerken, dass Münchens Kultur in russischer Hand liegt.

Nun hat das Auswärtige Amt den Abschluss des deutsch-russischen Jugendjahres gefeiert. Es ist eine verdienstvolle Initiative. Wäre Außenminister Sigmar Gabriel nicht krank geworden, hätte er zum Abschluss seinen Kollegen Sergej Lawrow in Berlin getroffen. Schon wieder, muss man sagen, denn Gabriel hat Russland seit seinem Amtsantritt möglicherweise öfter besucht als Angela Merkel ihren vorpommerschen Wahlkreis. Damit wandelt er auf den Spuren seines Partei- und Russlandfreundes Gerhard Schröder.

Im Grunde ist gegen Gespräche jeder Art natürlich überhaupt nichts zu sagen, wenn man nicht den Eindruck hätte, dass Gabriel im Wahlkampf um genau jene Russland-Versteher wirbt, die für Russland schon immer eine Katastrophe waren: die Amerika-Hasser nämlich, die vor lauter Kritik an Washington jeden autokratischen oder imperialistischen Ausfall aus Moskau verteidigen oder, schlimmer noch, die deutsch-russische Freundschaft in ihren finstersten expansiv-militaristischen Ausprägungen feiern.

Man muss das Verhältnis zwischen Deutschland und Russland nicht schönreden, um die Zustände freundlicher zu sehen, als sie gelegentlich erscheinen. Der Westen - Amerika, auch manche Länder Europas - hat viele Versprechen nicht gehalten. Und manchmal kommt aus dem Osten auch das Licht.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: