Russland in der Krise:Gurken aus Indien, Autos aus Japan

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Moskau hat sich auf hohe Erlöse aus Öl-Exporten verlassen - und dabei die Modernisierung seiner Wirtschaft vernachlässigt.

Frank Nienhuysen

Das erste Opfer war ein Reporter von Ren-TV. Der Mitarbeiter des russischen Fernsehsenders wurde geschlagen, dann begannen die Einsatzkräfte in Wladiwostok Dutzende Demonstranten festzunehmen. Die Bilder des ungenehmigten Protests vom Samstag waren da aber längst in der russischen Hauptstadt angekommen.

(Foto: Foto: AFP)

6000Kilometer liegen zwischen Moskau und der Hafenstadt im Fernen Osten, doch die Sorge der russischen Regierung ist groß, dass sich vom Pazifik aus eine Welle der Unzufriedenheit über das ganze Land ausbreiten könnte. Schließlich hatten bereits in der vergangenen Woche Tausende Menschen gegen die Erhöhung der Steuer auf Importautos demonstriert - am 11.Januar soll sie auf 30 Prozent steigen.

Stolz auf das russische Vaterland sind auch die Bewohner in Fernost, aber der heimische Lada kann mit japanischen und koreanischen Marken nun einmal schwer mithalten. Hunderttausende Arbeitnehmer sind derzeit allein im Osten des Landes auf den Handel mit Importautos angewiesen, nun fürchten sie um ihre Arbeitsplätze. "Russlands Industrie", sagte ein Demonstrant in Wladiwostok, "stellt nun einmal nicht das her, was wir heute brauchen."

Fall des Ölpreises verschärft Krise

Pfirsiche aus Bulgarien, Gewürzgurken aus Indien, Erdbeeren aus China, Autos aus Japan: Produkte aus Russland sind im größten Flächenstaat der Welt derzeit so schwer zu finden wie echte Tannenbäume zur Weihnacht. Jahrelang hatte der Export von teurem Öl, Gas und Schwermetallen ohne Mühe den nationalen Haushalt gefüllt. Darüber hat Russland vergessen, auch im eigenen Land etwas Nennenswertes herzustellen. Umso stärker wird das Land jetzt vom Absturz der Energiepreise getroffen.

"Dieses Szenario ist ein Albtraum", sagt der für Russland zuständige Ökonom der Weltbank, Zeljko Bogetic. Sollte der Ölpreis unter die Marke von 30 Dollar pro Barrel fallen, müsste Russland womöglich die internationalen Finanzinstitute um Geld bitten. Ein bitterer Gang wäre das für das stolze Land, das sich noch gut an die schlechten Zeiten unter Präsident Boris Jelzin erinnert. Der musste in den neunziger Jahren wie ein Bittsteller um die Welt reisen.

Soweit wird es zwar nicht mehr kommen, weil die Regierung - vor allem wegen des einst umstrittenen Finanzministers Alexej Kudrin - gelernt hat, ihr Geld beisammenzuhalten. Von einem Staatsbankrott ist das Land weit entfernt. Doch Russlands gewaltige Währungsreserven schmelzen derzeit wie der Schnee im Regen. Und die Industrieproduktion sank allein im November um 10,8 Prozent.

Innerhalb einer Woche wurden vor allem in der Stahl-, Bau- und Chemie-Industrie 70.000 Arbeitnehmer entlassen, von weiteren 200.000 Stellenstreichungen ist bereits die Rede. Zahlen sind das, die vor allem den russischen Ministerpräsidenten Wladimir Putin umtreiben. Etwas hilflos appellierte er am Wochenende an die russischen Firmen, Mitarbeiter nur in extremer Not zu entlassen.

Als Premier ist Putin in erster Linie für die wirtschaftliche Entwicklung zuständig, und kaum etwas ist im zentral regierten Russland stärker ausgeprägt als die Phobie des Kremls vor sozialen Spannungen, die seine Allmacht in Gefahr bringen könnten. Also macht Putin sich nun daran, mit Eifer den freien Fall zu beenden.

Die Stärkung kleiner Betriebe als Zauberformel

Die Duma nahm gerade ein Gesetz an, das Arbeitssuchenden von Januar an den Umzug in eine andere Stadt erleichtern soll. Außerdem werden Umschulungen gefördert und das Arbeitslosengeld erhöht. Die Stärkung kleiner und mittelständischer Betriebe hat Putin zur Zauberformel erklärt, mit der die Schwäche der Energie-Riesen kompensiert werden soll.

Mit fast einer Milliarde Euro will Moskau nun allein die nationale Autoindustrie unterstützen. Käufern russischer Fahrzeuge versprach der Premier vor wenigen Tagen Subventionen für einen dreijährigen Kredit. Begeistert zeigten sich selbstredend die Bewohner in Uljanowsk und Togliatti, den Zentren der Kleinlaster-, Van- und Lada-Produktion.

Zu Tausenden versammelten sie sich auf Kundgebungen und lobpriesen Putin für die protektionistische Zollpolitik. Und die Insignien des Patriotismus waren auch schnell zur Schau gestellt: Mitarbeiter eines Autowerks banden Luftballons in den Nationalfarben Weiß-Blau-Rot an einen goldfarbenen Lada, der hoch oben auf einem Podest steht.

Aber Putin kann es sich nicht leisten, die Menschen in Togliatti für sich zu gewinnen, und die in Fernost zu verlieren. Er muss die Gesellschaft, verteilt auf elf Zeitzonen zwischen Smolensk und Wladiwostok, in Balance halten. Wirklich unpopuläre Maßnahmen hat die russische Regierung deshalb bisher nicht getroffen. Es sei alles unter Kontrolle, hat Putin in den vergangenen Wochen immer wieder gesagt. Und es gibt genügend russische Fernsehsender, die seine Worte gerne ausstrahlen.

© SZ vom 22.12.2008/liv - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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