Russland:Hungerstreik unterbrochen

Russland: Der russische Künstler Wladimir Kusnezow.

Der russische Künstler Wladimir Kusnezow.

(Foto: dpa)

Wegen eines gefälschten Briefes unterbricht die gefangene ukrainische Pilotin Nadja Sawtschenko ihren Hungerstreik.

Von Julian Hans, Moskau

Was weder der russischen Justiz noch der internationalen Öffentlichkeit noch den Angehörigen der Gefangenen gelungen ist, gelang am Donnerstag einem Schwindler: Mit einem gefälschten Brief, der angeblich vom ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko stammte, bewog er Nadja Sawtschenko dazu, ihren Hungerstreik zu unterbrechen und zumindest wieder Wasser zu sich zu nehmen.

Die ukrainische Pilotin wartet derzeit in einer Untersuchungszelle in der russischen Kleinstadt Donezk auf das Urteil in einem Prozess, der weltweit kritisiert wird. Die Anklage wirft der 34-Jährigen vor, am Tod zweier Mitarbeiter des russischen Staatsfernsehens schuld zu sein, die im Juni 2014 in der Ostukraine von einer Granate getroffen worden waren. 23 Jahre Haft sind gefordert. Ihre Verteidiger haben vor Gericht dargelegt, dass sie zum Zeitpunkt des Angriffes bereits von Separatisten gefangen genommen war und später nach Russland verschleppt wurde.

Am 3. März hatte Sawtschenko angekündigt, weder Nahrung noch Flüssigkeit zu sich zu nehmen, bis das Urteil verkündet ist. Das Gericht legte die Urteilsverlesung auf den 21. und 22. März - 18 Tage überlebt kein Mensch, ohne zu trinken. Dass die zahlreichen Appelle - ausgesprochen von Gernot Erler, dem Russland-Beauftragten der Bundesregierung, bis zum US-Außenminister John Kerry - Russlands Präsidenten Wladimir Putin zum Umdenken bewegen würden, war ebenso wenig zu erwarten, wie dass die kämpferische Nationalistin von selbst aufgibt.

Da kam Wladimir Kusnezow ins Spiel. Unter dem Künstlernamen Vovan ist er in Russland dafür bekannt, mit Anrufen unter falschem Namen Prominente hereinzulegen. Mit dem Kollegen Alexej Stoljarow alias Lexus hat er den weißrussischen Präsidenten um Asyl für Viktor Janukowitsch gebeten und als falscher Putin mit Elton John über die Lage Homosexueller in Russland gesprochen. Als der Sänger sich auf Instagram beim russischen Präsidenten bedankte, griff der echte Putin zum Hörer. Die beiden vereinbarten ein Treffen - falls sich ihre Wege einmal kreuzen.

Diese Art, in den Lauf der Ereignisse einzugreifen, hat Vovan zu einem eigenen Genre erklärt, das er "Prank-Journalismus" nennt, obwohl es gegen die Regeln journalistischer Ethik verstößt: Durch Täuschung sei es möglich, an Informationen zu kommen, die Journalisten mit anderen Mitteln nicht kriegen.

Sawtschenkos Anwälten ließ er einen Brief zukommen, in dem angeblich Petro Poroschenko bat, den Hungerstreik zu beenden, ihr einen baldigen Austausch gegen russische Kriegsgefangene in der Ukraine in Aussicht stellte sowie einen Posten in der Regierung. Als am Donnerstag bekannt wurde, dass Sawtschenko wieder Wasser trinke, sagte ein Sprecher des Präsidenten in Kiew, Poroschenko habe gar keinen Brief geschrieben. Die Anwälte vermuteten den Kreml und seinen Geheimdienst hinter der Aktion. Am Freitag gab das russische Justizministerium bekannt, dass Verhandlungen über einen Austausch von Gefangenen mit Kiew geführt würden. Sawtschenko wurde nicht namentlich erwähnt.

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