Russland:30 Greenpeace-Aktivisten wegen Piraterie angeklagt

Russia charges Greenpeace activists with piracy

Die Arctic Sunrise von Greanpeace soll der russischen Bohrinsel zu nahe gekommen sein.

(Foto: dpa)

Können 30 protestierende Greenpeace-Aktivisten einer Bohrinsel gefährlich werden? Russische Ankläger wollen die Umweltschützer vor Gericht stellen. "Absolut lächerlich", kommentiert die Organisation den Vorwurf. Die Protestaktion sei, "wie wenn ein Moskito einen Tyrannosaurus sticht".

Von Julian Hans, Moskau

Die Aktivisten des Greenpeace-Schiffs Arctic Sunrise, die vor zwei Wochen gegen eine Bohrinsel des russischen Konzerns Gazprom in der Arktis protestiert hatten, werden möglicherweise schon an diesem Freitag vor Gericht gestellt. Beamte des Ermittlungskomitees in der Stadt Murmansk hatten 14 Männern und Frauen bereits am Mittwoch die Anklage wegen bandenmäßiger Piraterie eröffnet. Am Donnerstag wurden die verbliebenen 16 Beschuldigten aus der Untersuchungshaft in die Behörde gebracht.

Greenpeace-Direktor Kumi Naidoo nannte das Vorgehen gegen die Umweltschützer die "größte Bedrohung für unsere Aktivitäten, seit Agenten des französischen Geheimdienstes die Rainbow Warrior gesprengt und unseren Kollegen Fernando Pereira getötet haben."

Ein Vertreter von Greenpeace Russland zog einen Vergleich zu den Eilverfahren in der Sowjetunion: "Das Ermittlungskomitee in Murmansk geht vor wie der NKWD 1937 - fünf Minuten, und fertig ist die Anklage", sagte Michail Kreindlin der Nachrichtenagentur Interfax. Er halte die Anschuldigungen für unbegründet und ungesetzlich. "Unsere Aktivisten hatten nicht die Absicht, fremdes Eigentum in ihren Besitz zu bringen."

Was die Ereignisse selbst betrifft, ähneln sich zwar die Versionen von Strafverfolgern und Umweltschützern. Bei ihrer Interpretation gehen die Meinungen allerdings weit auseinander. Am 18. September hatten sich Schlauchbote der Ölbohrinsel Priraslomnaja genähert. Als Kletterer versuchten, auf die Plattform zu gelangen, wurden sie vom Wachdienst aus Wasserkanonen beschossen, herbeigerufene Grenzschützer des Geheimdienstes FSB feuerten Warnschüsse ab. Einen Tag darauf stürmte ein Sondereinsatzkommando den Greenpeace-Eisbrecher Arctic Sunrise, der sich zu diesem Zeitpunkt 34 Seemeilen von der russischen Küste entfernt in internationalem Gewässer befand. Alle 30 Personen an Bord wurden festgenommen, das Schiff zwölf Stunden lang durchsucht.

Das Ermittlungskomitee der Russischen Föderation erklärte, die Arctic Sunrise habe die Sicherheitszone von 500 Metern um die Bohrinsel verletzt. Das könne als "ernsthafte Gefahr für die persönliche Sicherheit der Mitarbeiter und für das Eigentum" sowie als Widerstand gegen die Staatsgewalt gewertet werden.

War Gazprom vorab über den Protest informiert?

Greenpeace bestreitet, dass sich der Eisbrecher der Plattform auf weniger als 500 Meter genähert hat. Der Vorwurf, die Aktivisten hätten die Bohrinsel beschädigen können, sei "absolut lächerlich", schrieb der bekannte russische Musik-Kritiker und Konzertveranstalter Artjemij Troizkij, der Mitglied der Greenpeace-Leitung in Russland ist, in einem Beitrag für die Nowaja Gazeta. Die Größenverhältnisse seien etwa so, "wie wenn ein Moskito einen Tyrannosaurus sticht".

Zudem habe der Kapitän der Arctic Sunrise, bevor die Boote zu Wasser gelassen wurden, sowohl die Küstenwache als auch die Leitung der Bohrinsel informiert, "dass es sich um eine friedliche Aktion handelt, dass sie niemanden überfallen oder fremdes Eigentum beschädigen wollen". Ein Gazprom-Vertreter bestritt dies: "Von der Ankunft des Greenpeace-Schiffs haben wir erst erfahren, als es auf unserem Radar aufgetaucht ist", sagte Genadij Ljubin.

Das Unternehmen sei aber durchaus zu einem konstruktiven Dialog mit den Umweltschützern bereit. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte vor einer Woche auf einer Arktis-Konferenz erklärt, es sei "offensichtlich, dass wir es hier nicht mit Piraten zu tun haben". Allerdings hätte die Besatzung der Plattform den Überfall leicht falsch deuten können.

Vor der Gazprom-Zentrale in Moskau finden täglich Mahnwachen statt. Auch in Deutschland protestierten Greenpeace-Unterstützer.

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