Russland:Explosive Rede

Kurz vor der Wahl stellt Präsident Wladimir Putin "weltweit einzigartige" Raketen vor. Experten halten die Ankündigungen für unglaubwürdig.

Von Julian Hans, Moskau

Vladimir Putin

In diesem Jahr fand die Rede nicht im prunkvollen Georgssaal statt, sondern in einem größeren Konferenzsaal vor den Toren des Kreml.

(Foto: Alexander Zemlianichenko/AP)

Weniger als drei Wochen vor der Wahl hat Russlands Präsident Wladimir Putin den Bürgern seines Landes ein längeres und besseres Leben versprochen und eine Reihe neuer Atomwaffen vorgestellt. "Niemand wollte auf uns hören, jetzt werdet ihr uns zuhören", sagte er in seiner Rede an die Nation in Moskau.

Russland habe mit der Entwicklung der neuen Waffen begonnen, nachdem die USA im Jahr 2002 den ABM-Vertrag zur Begrenzung der Raketenabwehrsysteme gekündigt hätten, erklärte Putin. Die neuen Raketen seien "weltweit einzigartig" und in der Lage, alle Abwehrschilde zu durchbrechen. Darunter sei eine Interkontinentalrakete mit 20-facher Schallgeschwindigkeit, die einschlage wie ein Meteorit. Darüber hinaus habe Russland eine neue ballistische Rakete entwickelt, die noch mehr Sprengköpfe noch weiter tragen könne als ihr Vorgängermodell. In Südrussland sei außerdem bereits ein Hyperschall-Waffensystem mit 2000 Kilometern Reichweite aufgestellt worden. Auf Großleinwänden wurden Computeranimationen der Waffen gezeigt. Nach Putins Darstellung soll die atomgetriebene Rakete praktisch unbegrenzt um die Welt kreisen können, bis sie ihr Ziel erreicht.

Putin warnte, ein atomarer Angriff auf Russland oder einen verbündeten Staat würde "unmittelbar" mit einem nuklearen Gegenschlag beantwortet.

Experten halten die Ankündigungen des Präsidenten für nicht glaubwürdig

Wie weit die Entwicklungen tatsächlich fortgeschritten sind oder ob sie bisher vor allem noch auf dem Reißbrett entstehen, lässt sich aus den Präsentationen nicht erschließen. Putin hatte bereits in der Vergangenheit immer wieder von Waffen gesprochen, die in der Lage seien, die Schutzschilde der Amerikaner zu durchbrechen. Das russische Staatsfernsehen zeigt seit einigen Jahren ebenfalls regelmäßig Animationen von Superwaffen. Ein bekannter Moderator erklärte 2014, als sich der Ukraine-Konflikt zuspitzte, Russland sei "das einzige Land, das in der Lage ist, die USA in radioaktive Asche zu verwandeln". Sicherheitsexperten stellen seitdem besorgt fest, dass Politiker selbst im Kalten Krieg nicht so leichtfertig über einen Einsatz von Kernwaffen gesprochen hätten. Putin betonte derweil, die neuen Waffen sollten keineswegs als Drohung verstanden werden. Vielmehr diene die Stärkung von Russlands militärischer Macht der Sicherung des Friedens auf der Welt.

Experten halten die Ankündigungen nicht für glaubwürdig. Russland werde auf Dauer keine atomgetriebenen Marschflugkörper entwickeln können, sagte Robert Schmucker, Professor für Raumfahrttechnik an der TU München, der Deutschen Presse-Agentur. "Das Ding wird zu schwer. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die einen kleinen fliegenden Kernreaktor machen können." Die Forschung habe die Frage bereits vor Jahrzehnten untersucht. Auch die Ankündigung einer Hyperschallwaffe sei ein Hirngespinst, sagte Schmucker. Immer wieder gebe es Berichte, wonach Russland und China auf dem Gebiet große Fortschritte machten. Diese seien aber nicht glaubwürdig. Die enormen Geschwindigkeiten führten zu einer extremen Belastung des Materials. Außerdem wären Tests unglaublich teuer. Hyperschallgeschwindigkeit bezeichnet die mindestens fünffache Schallgeschwindigkeit.

Der russische Präsident hält seine Rede vor beiden Kammern des Parlaments sowie Vertretern der Regionen und religiösen Würdenträgern traditionell am Ende eines Jahres. 2017 wurde die Rede erstmals vertagt - vom Dezember zunächst auf Februar und schließlich auf den 1. März. So kurz vor der Präsidentschaftswahl am 18. März bekam der Auftritt damit den Charakter einer programmatischen Rede Putins für die von ihm angestrebten weiteren sechs Jahre im Kreml. Das Format war diesmal ebenfalls leicht abgeändert: Anstelle des prunkvollen Georgs-Saals wählten die Organisatoren einen größeren Konferenzsaal in der Manege vor den Toren des Kreml. Dort konnten drei große Video-Leinwände aufgestellt werden, auf denen Schaubilder, vor allem aber Videos der neuen Militärtechnik gezeigt wurden.

Von den zwei Stunden, die die Ansprache dauerte, nutzte Wladimir Putin 40 Minuten, um die neuen Waffensysteme vorzustellen und die Stärke des russischen Militärs zu preisen. In der ersten Stunde hatte er Verbesserungen auf allen Gebieten der Innenpolitik versprochen. So solle die Armut im Land in seiner nächsten Amtszeit halbiert und die Lebenserwartung auf über 80 Jahre gesteigert werden. Die Produktivität soll jedes Jahr um fünf Prozent wachsen, der Staatsanteil an der Wirtschaft sinken, Unternehmen sollen mehr Freiheiten bekommen. Fast in allen genannten Bereichen ist in den vergangenen Jahren das Gegenteil passiert: Der Staatsanteil der Wirtschaft ist auf 70 Prozent gewachsen, die Armut hat zugenommen. Die Lebenserwartung liegt unter 73 Jahren.

Entsprechend verfolgten die Politiker im Saal die erste Hälfte der Rede mit unbeweglichen Gesichtern. Sie sind es, die die Versprechen des Präsidenten in die Tat umsetzen sollen - ein Unterfangen, das unter den Bedingungen der wirtschaftlichen Stagnation zum Scheitern verurteilt ist. Erst als Putin die neuen Wunderwaffen vorstellte, kam Leben in den Saal. Mehrfach applaudierten die Politiker und Kirchenvertreter im Stehen.

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