Russland:Europas unheimlicher Nachbar

Putin attends a meeting with members of the Presidential Council for Civil Society and Human Rights in Moscow

Die EU ist sich uneins, wie sie auf die immer schärfere Konfrontation mit Russland reagieren soll. Das nützt vor allem einem: Präsident Putin.

(Foto: REUTERS)
  • Die Konfrontation der EU mit Russland spitzt sich immer mehr zu.
  • Trotzdem ist man sich in der EU ist nicht einig über die richtige Antwort.
  • Auf dem jüngsten EU-Gipfel wollten einige Länder deutlich mit Sanktionen drohen.
  • Am Ende wurde die Passage zugunsten einer vageren Formulierung wieder gestrichen.

Von Daniel Brössler, Brüssel

In einem kleinen eingeschworenen Team in Büros am Brüsseler Schuman-Rondell ahnen sie, was jetzt auf sie zukommt. Die elf Experten arbeiten im Gebäude des Auswärtigen Dienstes der Europäischen Union in der EU East Stratcom Task Force, was auf Deutsch so viel heißt wie "Arbeitsgruppe Strategische Kommunikation Ost".

In der Öffentlichkeit treten sie kaum auf, aber wenn sie ihren Job erklären, dann klingt es ein bisschen nach Seismografie. Sie messen Ausschläge der russischen Propaganda, und sie glauben, diese auch voraussagen zu können. Wozu es nach dem jüngsten EU-Gipfel allerdings keiner Hexerei bedarf.

Die EU hat nach dem jüngsten Gipfel mit Sanktionen gedroht

Die Staats- und Regierungschefs haben die "Angriffe des syrischen Regimes und seiner Verbündeten, vor allem Russlands, auf Zivilisten in Aleppo scharf verurteilt". Und sie haben, wenn auch sehr allgemein, mit Sanktionen gedroht: "Die EU erwägt alle verfügbaren Optionen, sollten die derzeitigen Gräuel anhalten." In der Arbeitsgruppe interessieren sie sich weniger für die offiziellen, natürlich empörten Reaktionen darauf. Sie bereiten sich vielmehr darauf vor, dass im "Informationskrieg", wie das in Moskau heißt, nun aus allen Rohren geschossen wird.

Mit Hilfe eines Netzwerks aus 350 Helfern stellen die Experten erfundene oder grob verfälschte Geschichten über den Westen und die EU aus Staatsmedien und Trollfabriken in zwei wöchentlichen Newslettern richtig. Nach Einschätzung der EU kann das nur ein Anfang sein in der neuen Wirklichkeit, die den Umgang mit Russland seit 2014 diktiert. Eine Strategie soll her - auch darum ging es beim Gipfel.

Mehrere Stunden Zeit nahmen sich die Staatsführer, um bei Lamm an gebratenen Feigen und Herbstgemüse über Russland zu reden. Da sei, zählt EU-Ratspräsident Donald Tusk im Anschluss auf, alles zur Sprache gekommen von Luftraumverletzungen, Desinformationskampagnen, Cyberangriffen bis hin zu "Eingriffen in den politischen Prozess". Die Beispiele zeigten, "dass es die klare Strategie Russlands ist, die EU zu schwächen".

Was daraus folgt, nennt Kanzlerin Angela Merkel ein "Spannungsfeld". Da sei der Wunsch nach guter Kooperation: "Wir hängen zusammen, ein großer Teil Russlands ist Teil Europas." Andererseits sei "das Selbstverständnis Russlands im Augenblick nicht darauf ausgerichtet, Partnerschaft zu haben, sondern eher auch den eigenen Einflussbereich auszudehnen".

In der EU ist man sich über den richtigen Umgang mit Russland nicht einig

Die Suche der EU nach einer gemeinsamen Russland-Politik führt erst einmal in ein Knäuel aus Interessen. Gaskonzerne spielen da ebenso eine Rolle wie Obstbauern. Es treffen unterschiedliche Wahrnehmungen im Osten und im Süden Europas aufeinander und auch zwischen Sozial- und Christdemokraten.

Der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi hat als südeuropäischer Sozialdemokrat die Führung jener im Rat übernommen, die man in Deutschland wohl als Putin-Versteher bezeichnen würde. Die wegen des Krieges im Osten der Ukraine gegen Russland verhängten Sanktionen sieht er skeptisch, was auch mit den russischen Gegenmaßnahmen zu tun haben dürfte, dem Importstopp auf Obst und Gemüse aus der EU.

Russland: SZ-Grafik; Quelle: AHK Russland

SZ-Grafik; Quelle: AHK Russland

Das allein aber kann es nicht sein. Nach einer Studie des Hochschulinstituts für internationale Studien und Entwicklung in Genf gehört gerade Italien nicht zu den Ländern, die durch die Sanktionen besonders stark betroffen sind. Ungleich höhere Einbußen haben Staaten wie Estland, die zu den Befürwortern einer harten Linie gegenüber Moskau gehören. Die geografische Nähe zu Russland und das Gefühl des unmittelbaren Bedrohtseins spielt eine große Rolle, aber auch dies mit Einschränkungen wie die Sanktionsskepsis des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán zeigt.

Bisher konnten Sanktionen immer einstimmig verhängt werden

Trotzdem ist es bisher stets gelungen, die Sanktionen gegen Russland einstimmig zu verlängern. Jedes Mal aber, wenn das ansteht (das nächste Mal im Januar), herrscht Nervosität. Ganz grundsätzlich verkündet Merkel nach der Russland-Diskussion aber, dass es "schon einen großen Konsens gibt bezüglich der strategischen Optionen gegenüber Russland".

Tusk hatte vor dem Gipfel damit gerechnet, dass die Gräben angesichts der furchtbaren Bilder von Aleppo eher kleiner geworden sind. Angespornt von Deutschen, Franzosen und Briten, hatte er in den Entwurf der Abschlusserklärung eine Passage schreiben lassen, in der "restriktive Maßnahmen", also Sanktionen, auch Russland für den Fall angedroht wurden, dass die Gewalt gegen Zivilisten nicht aufhört.

Doch Renzi blockte. "Beim Thema Syrien sind wir alle sehr besorgt", sagte er, "aber ich glaube, es würde nichts bringen, hier einen Verweis auf Sanktionen einzufügen." Im Kompromisstext ist nur noch von "allen verfügbaren Optionen" die Rede, falls die Gräuel nicht aufhören. "Minimalkonsens" nennt Merkel das zum Gipfelende. Wie das bei Putin ankommt, weiß sie natürlich auch.

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