Russland:Putins Geopolitik ruiniert die russische Wirtschaft

Wie das Land ökonomisch wieder auf die Beine kommen könne? Ein Wissenschaftler hat eine klare Antwort.

Von Julian Hans

Politiker und Konzernlenker aus aller Welt, die sich von diesem Donnerstag an zum jährlichen Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg treffen, haben die wichtigste Rede zur Lage der russischen Wirtschaft schon verpasst. Premier Dmitrij Medwedjew hielt sie vor drei Wochen auf der Krim, ganz spontan, aber treffend.

Eine Rentnerin hatte über die steigenden Preise geklagt: Wie soll man von 110 Euro im Monat leben? Medwedjews Antwort: "Wir haben einfach kein Geld. Wenn wir welches finden, erhöhen wir die Renten. Halten Sie durch, alles Gute, seien Sie guter Laune und bleiben Sie gesund!" Dann eilte er davon.

Eine Kamera hielt den kurzen Dialog fest, binnen Tagen wurden Medwedjews Worte zum meistzitierten Spruch im russischsprachigen Internet: Wir haben kein Geld. Halten Sie durch. Bleiben Sie guter Laune. Das fasst die Stimmung im Land in einer knappen Formel zusammen.

Der Präsident ruiniert sein Land, das Ausland hat kaum Einfluss

Wie lange sich die Menschen mit sol-chen Parolen noch hinhalten lassen, ist ungewiss. Viele Arbeiter bekommen ihren Lohn mit Wochen oder Monaten Verspätung, ein Problem, das die Russen eigentlich längst hinter sich wähnten. Immer wieder gab es in den vergangenen Monaten deshalb Proteste; vereinzelt - nicht grundsätzlich - gegen Präsident Wladimir Putin gerichtet, und eher aus der Verzweiflung heraus.

Erstmals in 15 Jahren Putin-Herrschaft sind die Realeinkommen der Menschen gesunken. Und zwar spürbar. Sie liegen jetzt unter denen der Chinesen auf einem Niveau mit den Reallöhnen in Kasachstan. In Umfragen unterstützen noch immer 80 Prozent der Menschen den Präsidenten. Gleichzeitig wächst die Zahl derjenigen, die das Gefühl haben, das Land stecke in der Sackgasse. Im Mai war das laut dem unabhängigen Meinungsforschungsinstitut Levada jeder Dritte.

Das alte Modell Putin hat sich 2008 erschöpft. Seit der internationalen Finanzkrise hat Russland seine einstigen Wachstumsraten nicht mehr erreicht. Es genügt nicht mehr, steigende Einnahmen aus dem Öl- und Gasexport zu verteilen. Nach acht Jahren Wachstum und acht Jahren Stagnation hat ein Niedergang eingesetzt. Putin und seine Leute aus Geheimdienst und Militär konnten ihn in den vergangenen zwei Jahren kompensieren, indem sie Russland als Großmacht zurück auf die Weltbühne brachten, die Krim heimholten und die Karten im Nahen Osten neu mischten. Außer Geopolitik gibt es in Russland derzeit keine Politik mehr. Wie lange lässt sich das fortführen?

Das größte Problem der Wirtschaft sind die geopolitischen Spannungen

Russland mangelt es nicht an klugen Köpfen, die wüssten, wie es anders ginge. Im Frühjahr hat Putin Ex-Finanzminister Alexej Kudrin beauftragt, ein Programm zur Entwicklung des Landes auszuarbeiten. Kudrins erster Rat: Moskau müsse die geopolitischen Spannungen senken. Als Hauptprobleme des Landes nennt er die Korruption, die (selbst gewählte) internationale Isolation und technische Rückständigkeit. Aber solche Vorschläge dringen nicht mehr durch. Putins Antwort: Wir haben den Konflikt nicht angefangen - und Russlands Souveränität ist nicht verhandelbar.

In Wahrheit geht es aber nicht darum, dass Russland sich dem Willen der USA oder der EU beugt, sondern darum, ob es wieder nach den Regeln spielt. Der Unterschied zwischen beidem wird von der Führung im Kreml und den von ihr gesteuerten Medien bewusst verwischt. Das zeigt sich gerade exemplarisch am Sport. Weil Russen im fairen Wettbewerb nicht mehr so viele Medaillen holen konnten wie einst die Sowjetunion und wie es dem nationalen Bewusstsein angemessen erscheint, wurde der unfaire Weg des Dopings gewählt. Dass das Foulspiel jetzt ans Licht kommt, muss eine Kampagne der Konkurrenz sein.

Gerade der Regelbruch hat dem Land scheinbar zu alter Größe verholfen

Die Gesetze der Ökonomie hat aber nicht die CIA erfunden; und die Verträge von Paris und Helsinki, die unter anderem ein Gewaltverbot und freie Bündniswahl in den internationalen Beziehungen enthalten, hat Moskau mit ausgehandelt und unterschrieben. Das Problem ist, dass es für die herrschende Elite in Russland existenzbedrohend erscheint, sich ihnen wieder zu unterwerfen. Gerade der Regelbruch hat dem Land ja scheinbar zu alter Größe verholfen.

Was also tun: Sanktionen oder Reden? Der Streit um den richtigen Umgang mit Russland führt zu nichts. Die Entscheidungen über die künftige Richtung des Landes fallen im Land zwischen mächtigen Wirtschaftsgruppen und Geheimdiensten, in dem der Kreml Schiedsrichter ist. Das Ausland hat darauf nur begrenzt Einfluss. Russlands Nachbarn und dem Westen bleibt nichts anderes übrig, als sich an Medwedjews Ratschlag zu halten: durchhalten. Und hoffen, dass alle gesund aus der Sache herauskommen.

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