Russland:Putins Herausforderer sind alte Bekannte

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Gesteuerte Demokratie: Gegen seine altbewährten Herausforderer wirkt der amtierende Präsident Wladimir Putin geradezu jung. (Foto: Misha Friedman / Bloomberg)
  • Einige Monate vor der Präsidentschaftswahl in Russland melden sich Putins Gegenkandidaten zu Wort. Sie sind in Wahrheit alte Bekannte.
  • Der stellvertretende Kreml-Verwaltungsleiter Sergej Kirienko soll als Ziel ausgegeben haben: 70 Prozent für Putin, 70 Prozent Wahlbeteiligung.
  • Der Kreml steht nun vor der Herausforderung, Menschen zur Teilnahme an einer Wahl zu mobilisieren, deren Ausgang gewiss ist.

Von Julian Hans, Moskau

Es gehört wohl zu den Besonderheiten einer gelenkten Demokratie, dass die engagiertesten Unterstützer der Regierung zugleich als Herausforderer gegen sie antreten können. In der vergangenen Woche gab ein gewisser Boris Jakemenko im oppositionellen Sender Doschd bekannt, sich an diesem Kunststück versuchen zu wollen. Ja, er werde bei der Präsidentschaftswahl im März kandidieren, sagte der 51-Jährige.

Jakemenko ist als Politiker in Russland bisher kaum in Erscheinung getreten. Die russischen Medien erinnerten ihr Publikum sicherheitshalber noch einmal daran, wo sie den Namen vielleicht schon einmal gehört hatten: Anfang der 2000er-Jahre hatte Boris Jakemenko zusammen mit seinem Bruder Wassilij erst die Jugendbewegung "Die gemeinsam gehen" aufgebaut und dann eine ähnliche Organisation unter dem weniger sperrigen Namen "Naschi" - Die Unsrigen".

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Die Wahlkommission verwies dabei auf die Verurteilung des Oppositionspolitikers zu einer fünfjährigen Bewährungsstrafe wegen Veruntreuung.

In beiden Fällen war das Programm recht schlicht; es ging vor allem darum, einen Fan-Kult um den Präsidenten Wladimir Putin zu zelebrieren und medienwirksame Schmäh-Aktionen gegen Menschenrechtsvertreter und Kreml-Kritiker zu veranstalten. Etwa indem Bücher des konzeptualistischen Autors Wladimir Sorokin symbolisch ins Klo geworfen oder Schießübungen auf eine Papp-Figur von Ljudmila Alexejewa veranstaltet wurden, die heute 90 Jahre alte Mutter der russischen Menschenrechtsbewegung.

Er wolle herausfinden, "wie viele Stimmen ein einfacher Mensch bekommen kann", begründete Jakemenko seine Kandidatur. Seine Zielgruppe seien die Intellektuellen und die Jugend. Selbstverständlich setze er auf Sieg, es sei aber auch schon nicht schlecht, etwas Erfahrung im Wahlkampf zu sammeln. Dabei sein ist schließlich alles.

Putin hat bislang nicht bestätigt, dass er kandidieren wird

Wen der Überraschungskandidat herausfordern will, ist derweil noch gar nicht klar. Jedenfalls nicht offiziell. Präsident Wladimir Putin ist bislang allen Fragen ausgewichen, ob er noch einmal antreten wird. Es wäre seine vierte Amtszeit, obwohl die Verfassung eigentlich nur zwei Amtszeiten erlaubt. Putin hatte die Regelung umschifft, indem er zwischen 2008 und 2012 auf das Amt des Premierministers wechselte und Dmitrij Medwedjew so lange das Steuer im Kreml halten ließ.

Doch daran, dass Putin sich wieder zur Wahl stellt, gibt es in Russland so wenig Zweifel wie daran, dass er die Wahl auch haushoch gewinnt. Einer Umfrage der Stiftung Öffentliche Meinung (FOM) vom August zufolge würden zwei Drittel der Befragten für Putin stimmen, wenn am Sonntag gewählt würde. Zwar arbeitet FOM im Auftrag der Regierung, aber auch in der jüngsten Erhebung des unabhängigen Lewada-Zentrums vom Mai war der Trend eindeutig: 48 Prozent für Putin, kein Herausforderer würde mehr als drei Prozent bekommen. Auch die Kommunalwahlen vom Sonntag dürften die Machtverhältnisse nicht in Frage stellen.

Anfang Oktober wird Putin 65. Mehr als 17 Jahre lenkt er dann die Geschicke des Landes, und nicht nur überzeugte Gegner fragen sich bei so manchem Versprechen, das Wirtschaftsklima zu verbessern oder die Abhängigkeit von Öl und Gas zu verringern, warum er das in dieser Zeit mit seiner Machtfülle nicht längst getan hat. Gegen seine altbewährten Herausforderer wirkt Putin indes geradezu jung: Wladimir Schirinowskij, zuständig für Nationalismus und Populismus, ist 71. Er hat bereits angekündigt, wieder zu kandidieren. Der Chef der Kommunistischen Partei, Gennadij Sjuganow, ist 73; auf dem Parteitag im Dezember könnte er dem 62-jährigen Walerji Raschkin den Vortritt lassen, dem ersten Sekretär der KPRF in der Hauptstadt. Mit Putin, Schirinowskij und Sjuganow decken drei alternde Herren seit bald zwei Jahrzehnten das politische Spektrum von links bis rechts ab, aber bei der jungen Generation zieht dieses Angebot immer weniger.

Das stellt den Kreml vor die Herausforderung, wie die Wähler überhaupt an die Urnen gelockt werden können, wenn der Ausgang ohnehin von vornherein festzustehen scheint. Bei der Parlamentswahl vor einem Jahr hatte sich nicht einmal jeder Zweite aufgerafft. In einem Staat, in dem die demokratischen Institutionen vor allem der Form halber existieren, trägt eine Präsidentschaftswahl aber eher den Charakter einer Akklamation als einer Wahl im klassischen Sinne: Ein großer Teil der Bevölkerung muss große Zustimmung zeigen, um dem "nationalen Leader" die nötige Legitimation zu geben (der Anglizismus wird ausnahmsweise auch unter Kreml-treuen Patrioten geduldet, lässt sich damit doch das belastete Wort "Führer" vermeiden).

Ziel 70/70: 70 Prozent für Putin bei 70 Prozent Wahlbeteiligung

Sergej Kirienko, 1998 Putins Vorgänger im Amt des Ministerpräsidenten unter Boris Jelzin und heute als stellvertretender Leiter der Kreml-Verwaltung zuständig für die Innenpolitik, soll das Ziel 70/70 ausgegeben haben, berichten russische Medien: 70 Prozent für Putin bei 70 Prozent Wahlbeteiligung. Darüber, wie dieses Ziel erreicht werden kann, zerbrechen sich Kirienkos Mitarbeiter vor dem offiziellen Start des Wahlkampfes im Dezember die Köpfe. Sorgen bereitet ihnen vor allem die Mobilisierung der jungen Generation, die mehr Zeit mit Youtube verbringt als mit dem staatlich kontrollierten Fernsehen.

Vor einer Woche berichtete die Zeitung Wedomosti unter Berufung auf Insider, dass der Kreml erwäge, eine Frau gegen Putin ins Rennen zu schicken. Genannt wurde Xenia Sobtschak, Mode-Vorbild und Moderatorin bei Doschd. Die 35-Jährige hatte sich 2011 bei den Massenprotesten gegen den Postentausch zwischen Putin und Medwedjew engagiert. Gleichzeitig zählt sie als Tochter von Anatolij Sobtschak zur Familie, der war als Bürgermeister von Sankt Petersburg Mitte der 1990er-Jahre Putins Vorgesetzter. Boris Jakemenko ist nun der Erste aus dem Umfeld des Kremls, der seine Kandidatur verkündet, wenngleich er jede Verbindung abstreitet.

Einen echten Wahlkampf führt derweil nur der Oppositionelle Alexej Nawalny. Fast 80 Wahlkreisbüros hat der 41-Jährige in den vergangenen sechs Monaten zwischen Ostsee und japanischem Meer eröffnet. Etappenziel des Anti-Korruptions-Aktivisten ist es, eine Million Unterschriften von Unterstützern zu sammeln und damit so viel Druck aufzubauen, dass er trotz einer Bewährungsstrafe zur Wahl zugelassen wird. Ella Pamfilowa, die Vorsitzende der nationalen Wahlkommission, hatte ihm bereits öffentlich zu verstehen gegeben, dass die Chancen gegen null gehen.

© SZ vom 11.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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