Russland:Aufrüsten auf allen Kanälen

Moskau beschäftigt sich seit Wochen verstärkt mit Syrien: diplomatisch, militärisch - und medial. In den Nachrichten hat Nahost die Ukraine verdrängt, doch die meisten Russen zeigen kaum Interesse.

Von Julian Hans, Moskau

Dem russischen Präsidenten wollte kein gutes Wort über seinen US-Kollegen einfallen. Bevor es am Montagabend in New York zum Treffen zwischen Wladimir Putin und Barack Obama kam, fragte der Star-Journalist Charlie Rose den russischen Staatschef, was er denn persönlich von Obama halte? "Ich denke, es steht mir nicht zu, mir ein Urteil über den US-Präsidenten zu erlauben", wich er aus. "Das ist das Privileg des amerikanischen Volkes".

Putins Teilnahme an der populären Interview-Sendung "60 Minutes" war der Abschluss einer aufwendigen Kampagne, mit der Moskau den Auftritt des russischen Präsidenten bei der 70. Generaldebatte der UN-Vollversammlung vorbereitet hatte. Und zwar auf allen Ebenen: diplomatisch, medial und militärisch.

Das komplette Gespräch, dass in der vergangenen Woche in Putins Residenz Nowo-Ogarjowo bei Moskau aufgezeichnet worden war, strahlte der US-Sender CBS erst am Sonntag aus. Aber schon seit Donnerstag wurde die Öffentlichkeit mit Ausschnitten angefüttert. Nach und nach wurde bekannt, dass es entgegen früheren Bekundungen nun doch das Ziel Moskaus ist, den Diktator Baschar al-Assad zu retten: "Genau so ist es", erklärte Putin. Schließlich sei dessen Regime die legitime Regierung. Die Deutung, dass Assad die Menschen in die Arme der Terrormiliz Islamischer Staat treibe, indem er Fassbomben auf die Zivilbevölkerung werfe, wischte Putin mit einem Lächeln als "Anti-Assad-Propaganda" westlicher Geheimdienste beiseite.

Seit dem Sommer zeigt sich ein arabischer Spitzenpolitiker nach dem anderen in Moskau

Die diplomatische Offensive war lange unbeachtet geblieben. Schon früher hatte Moskau Vertreter der syrischen Opposition in der russischen Hauptstadt zusammengerufen. Doch seit dem Sommer gaben sich Spitzenpolitiker aus der Arabischen Welt in Moskau die Klinke in die Hand. Es kamen: Jordaniens König Abdallah, Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi, der Kronprinz der Vereinigten Arabischen Emirate, Mohammed bin Zayed al-Nahyan und Adel al-Jubair, Außenminister Saudi-Arabiens. Putin telefonierte mit dem saudischen König Salman ibn Abd al-Aziz und empfing vorige Woche den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. Wenig später kamen Palästinenserpräsident Mahmud Abbas und der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan.

Gleichzeitig lief die militärische Vorbereitung auf vollen Touren. Erst waren es nur amerikanische und israelische Geheimdienste, die Ende August von erhöhten Aktivitäten der Russen in Syrien berichteten. Dann kündigte Putin die Bildung einer eigenen Koalition gegen den IS an, die Luftschläge des von den USA geführten Bündnisses seien "wenig effektiv". Zugleich ließ er wissen, Assad sei zu Neuwahlen bereit. Nach anfänglichen Warnungen stieg Washington darauf ein, die Außen- und Verteidigungsminister telefonierten.

Eine Woche nachdem der stellvertretende Generalstabschef Nikolaj Bogdanowskij erklärt hatte, Moskau plane keine Luftwaffenstützpunkte in Syrien, veröffentlichte die Militärfachzeitschrift Jane's Satellitenbilder von Latakia, auf denen 28 russische Kampfflugzeuge sowie mehrere Hubschrauber und Panzer zu sehen sind. Die Anlagen, die in wenigen Wochen dort errichtet wurden, seien geeignet, bis zu 2000 Soldaten aufzunehmen. Derweil gingen beim Menschenrechtsrat des russischen Präsidenten Klagen von Zeitsoldaten ein, die sich weigerten, ohne schriftlichen Befehl ein Schiff nach Syrien zu besteigen.

Wenige Stunden vor Beginn von Putins Rede bei der UN-Vollversammlung kam eine neue Überraschung aus Moskau: Michail Bogdanow, stellvertretender Außenminister, drang auf ein baldiges Treffen einer internationalen Syrien-Kontaktgruppe. Die Vertreter der "einflussreichsten ausländischen Mächte" sollten noch im Oktober zusammenkommen. Als Teilnehmer nannte Bogdanow neben Russland und den USA Iran, Ägypten, Saudi-Arabien und die Türkei. Im Interview mit CBS ließ Putin sogar die Option offen, mit Bodentruppen in den Krieg einzugreifen - ein Schritt, den die USA wegen der verworrenen Lage ausgeschlossen haben. "Russland wird an keinen Operationen in Syrien oder anderswo teilnehmen", sagte Putin und ergänzte: "Zumindest haben wir dafür keine Pläne".

"Die Bevölkerung delegiert die Außenpolitik völlig an die Regierung", sagt ein Soziologe

In der russischen Bevölkerung gäbe es für solch einen Schritt wenig Unterstützung, sagt Lew Gudkow, Leiter des unabhängigen Lewada-Zentrums. In einer Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut an diesem Dienstag veröffentlicht, sprachen sich gerade einmal 14 Prozent der Befragten dafür aus, die Assad-Regierung auch militärisch zu unterstützen. Obwohl auch in den staatlich gesteuerten Medien Syrien und die Flüchtlingskrise die Ukraine seit Monatsanfang von den ersten Plätzen der Nachrichten verdrängt haben, interessieren sich 84 Prozent überhaupt nicht dafür, und nur 15 Prozent sagten, sie verfolgten das Geschehen aufmerksam.

Dennoch könnte sich der Soziologe Gudkow vorstellen, dass das Volk einen russischen Einsatz zunächst dulden würde. "Die russische Bevölkerung delegiert die Außenpolitik völlig an die Regierung und will auch keine Verantwortung dafür übernehmen, was in ihrem Namen geschieht", sagt er. Die Wahrnehmung des Syrien-Konflikts werde stark von der offiziellen Propaganda geprägt. Die meisten Befragten, 35 Prozent, sind der Ansicht, dort kämpften vom Westen unterstützte Terroristen gegen die legitime Regierung.

Russian President Vladimir Putin gives an interview in Moscow region

"Genau so ist es", sagt Präsident Wladimir Putin auf die Frage, ob Russland den syrischen Machthaber Baschar al-Assad retten wolle.

(Foto: Ria Novosti/Reuters)
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