Russland:Aufmüpfiger Physiker

MOSCOW RUSSIA SEPTEMBER 26 2017 Alexander Sergeyev director of the Institute of Applied Physic

Alexander Sergejew, 62, ist neuer Präsident der Russischen Akademie der Wissenschaften. Der Physiker will die Akademie zum intellektuellen Epizentrum des Landes machen.

(Foto: imago/ITAR-TASS)

Alexander Sergejew ist neuer Präsident der Russischen Akademie der Wissenschaften. Die Gleichschaltung der Forschung dürfte damit abgewehrt sein.

Von Julian Hans, Moskau

Nur wenige Stunden sind vergangen seit der Wahl von Alexander Sergejew zum Obersten aller Forscher in Russland, da gibt ihm Wladimir Putin einen Rat, von Präsident zu Präsident: Sergejew möge sich doch bitte darum bemühen, "sehr gute Beziehungen zu den verschiedenen Ebenen des Staates aufzubauen, zur Regierung und zur Administration", sagt er bei einem Treffen in Moskau. Das sei unerlässlich um notwendige Reformen umzusetzen. Mit der "Administration" ist der Kreml gemeint, also letztlich Putin selbst.

Mit Sergejews Wahl zum neuen Präsidenten der Russischen Akademie der Wissenschaften (RAN) ist eine weitere Runde im seit Jahren andauernden Ringen um die Ausrichtung der altehrwürdigen Institution zu Ende. Fast 300 Jahre ist die Akademie alt, gegründet hatte sie Peter der Große, um sein rückständiges Reich durch Wissenschaft und Forschung voranzubringen. In der Sowjetzeit brachte sie zahlreiche Nobelpreisträger hervor, vor allem in der Physik. Obwohl die wichtigste Forschungseinrichtung unter dem Dach des Staates organisiert ist, hatte ihr Statut ihr über die Jahre eine gewisse Unabhängigkeit bewahrt.

Die versuche der Kreml unter dem Vorwand notwendiger Reformen zu untergraben, klagen Akademie-Mitglieder. 2013 verabschiedete die Staatsduma im Eilverfahren ein Gesetz, dass die RAN mit zwei anderen Akademien fusionierte, die Hoheit über Immobilien und Finanzen an eine staatliche Agentur übertrug und der Regierung weitere Eingriffsmöglichkeiten eröffnete. Dass eine Reform der Institution notwendig ist, darin sind sich alle einig; das Alter ihrer Mitglieder liegt im Schnitt weit jenseits der Pensionsgrenze, Nobelpreise gewinnen russische Forscher heute an Instituten im Ausland.

Den entscheidenden Schritt zur Gleichschaltung konnten die Wissenschaftler mit der Wahl Sergejews abwehren. Um das Amt des Präsidenten hatte sich auch das Akademiemitglied Wladislaw Pantschenko beworben, ein Protegé von Michail Kowaltschuk, dem Direktor des staatlichen Kurtschatow-Instituts. Dieses war in der Sowjetunion ein geheimes Zentrum zur Erforschung von Nuklearwaffen. Kowaltschuk ist der ältere Bruder von Jurij Kowaltschuk, der als enger Vertrauter von Wladimir Putin und Aktionär der Bank Rossija auf der US-Sanktionsliste steht.

Der 62-jährige Physiker Sergejew gilt als entschlossener Vertreter einer unabhängigen Wissenschaft. In einer programmatischen Rede erklärte er als oberstes Ziel, die Abwanderung der klügsten Köpfe zu stoppen und die Akademie der Wissenschaften wieder zu einem intellektuellen Epizentrum des Landes zu machen.

Ein Mitglied der Kommission zum Kampf gegen Pseudowissenschaft, das zufällig ebenfalls Alexander Sergejew heißt, sagte dem Nachrichtenportal Gazeta.ru, die RAN habe vor der Wahl gestanden: "Entweder sie ordnet sich ganz dem Diktat der Politik unter, flirtet mit der Macht und erweckt nur den Anschein der Unabhängigkeit. Oder sie versucht, deutlich zu machen, dass die Wissenschaft trotz ihres armseligen Zustands auf ihrer Rolle als unabhängige Kraft besteht."

Dass der neue Akademie-Präsident auch diplomatisches Geschick mitbringt, bewies er bei seinem Treffen mit Putin am Mittwoch. Es sei "sehr gut, dass unsere Wahl absolut demokratisch abgelaufen" sei, antwortete er auf Putins Mahnung. Es sei sehr wichtig gewesen, dass auch die Staatsmacht sich bei der Wahl sehr demokratisch verhalten habe. "Das ist eine Grundlage, auf der wir zusammenarbeiten können."

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