Russischer Geheimdienst:Putins Hydra - wie russische Geheimdienste ticken

Putin 'probably' approved Litvinenko killing, British inquiry fin

Russlands Präsident Wladimir Putin

(Foto: dpa)
  • Der amerikanische Russland-Experte Mark Galeotti beschreibt in einem Bericht die Arbeit der russischen Geheimdienste.
  • Die einzelnen Stellen arbeiteten gegeneinander, anstatt sich auszutauschen.
  • Die Unterwürfigkeit gegenüber Putin sei ein zentrales Problem.

Von Antonie Rietzschel

"Russland ist in Gefahr", ist einer dieser Sätze, die sich anhören, als habe der Kalte Krieg nie aufgehört. Ein anderer lautet so: "Verliert der Westen, gewinnen wir". Die Aussagen stammen von früheren und aktiven Mitarbeitern des russischen Geheimdiensts, die der anerkannte Russland- und Sicherheitsexperte Mark Galeotti für eine Untersuchung über die Arbeitsweise des russischen Sicherheitsapparates unter Präsident Wladimir Putin interviewt hat.

Sein Bericht enthüllt nicht nur, dass das alte Lagerdenken des kalten Krieges offenbar noch lange nicht vorbei ist, sondern auch die Machtkämpfe, die russische Sicherheitsdienste untereinander austragen.

Der Inlandsgeheimdienst FSB, der Auslandgeheimdienst SVR, der militärische Geheimdienst GRU, der Föderale Schutzdienst FSO, das Innenministerium, das Anti-Terror-Komitee und andere Stellen: Im Auftrag Putins arbeitet ein kaum durchschaubares Geflecht von Diensten an der russischen Sicherheit. Galeotti hat seinen Bericht deshalb nach dem vielköpfigen Ungeheuer aus der griechischen Mythologie benannt: "Putins Hydra". Die einzelnen Köpfe würden machen, was sie wollen - und verwendeten viel Energie darauf, einander wegzubeißen.

Dem Präsidenten kommt das Kompetenzgerangel gelegen

Gemeinsame Treffen der Dienste gibt es offenbar selten. Ein ausführlicher Informationsaustausch finde kaum statt. Im Gegenteil: Einem Informanten zufolge sammeln SVR und GRU die gleichen Wirtschaftsdaten über verschiedene Länder. Dabei sollen Mitarbeiter in den jeweiligen russischen Botschaften dazu überredet worden sein, dem Konkurrenten Informationen vorzuenthalten.

Berichte gehen an den Sicherheitsrat, die Berater Putins - oder direkt an den Präsidenten. Ihm selbst dürfte das Kompetenzgerangel der Nachrichtendienste gelegen kommen. Putin, einst KGB-Mitglied, hütet sich davor, einer Stelle zu viel Macht zu verleihen. Gleichzeitig geht es auch um Selbstschutz: Die Nachrichtendienste sind Galeotti zufolge in einige internationale fragwürdige Operationen verwickelt, darunter Drogenschmuggel. Da sei es praktisch, wenn die Spur nicht allzu leicht auf eine Stelle zurückzuführen ist.

Nur während der olympischen Winterspiele in Sotschi sollen die Zankereien vorübergehend ausgesetzt worden sein - orchestriert von einem Putin-Vertrauten. Als Organisator der Veranstaltung bildete der stellvertretende Ministerpräsident Dimitri Kosak eine Sondereinsatzgruppe mit hochrangigen Experten. "Ohne diese Leute, die die Kooperationen erzwangen, weil sie wussten, ihre Köpfe würden sonst rollen, hätten wir unsere üblichen Spiele gespielt", zitiert Galeotti einen Informanten vom FSB.

Was die Streitenden eint, sei ihre Unterwürfigkeit gegenüber Putin. "Schlechte Nachrichten zum Tisch des Zaren zu bringen", zitiert Galeotti einen Informanten, wolle keiner, aus Angst vor Konsequenzen. Mitarbeiter des militärischen Geheimdienstes loben in dem Zusammenhang das Vorgehen ihres mittlerweile verstorbenen Chefs Igor Sergun: "Er wusste, wie man schmeichelte, aber gleichzeitig wie ein Soldat bluffte." Ein Informant ging im Gespräch ins Detail: "Sergun ist immer mit dem Strom geschwommen. Er hat die Stimmung im Raum gelesen und legte sich dann entsprechend die Worte zurecht. Zuvor notierte er sich verschiedene Punkte, je nachdem wie das Gespräch verlaufen könnte."

Hang zum Risiko

Gefährlich kann die Mischung aus Unterwürfigkeit und Konkurrenz werden, wenn daraus Aktionismus erwächst: "Es ist besser, etwas zu machen, als nichts zu tun", dieser Satz soll während eines Treffens von Auslandsgeheimdienstlern gefallen sein. Über negative Folgen mache man sich nicht immer die nötigen Gedanken, so Galeotti. Vielmehr gebe es einen gewissen Hang zum Risiko.

Der Autor führt einen Zwischenfall von 2014 an, als der FSB den estnischen Geheimdienstler Eston Kohver wegen angeblicher Spionagevorwürfe festnahm. Estland zufolge wurde Kohver über die Grenze nach Russland verschleppt. Die EU verlangte die Freilassung des Esten. Stattdessen wurde er zu 15 Jahren Lagerhaft verurteilt. Das belastete das ohnehin schon angespannte Verhältnis zwischen Russland und den Balten zusätzlich.

"Ein schlecht gemanagtes Biest" nennt Galeotti die russischen Geheimdienste in seinem Fazit. Putins Hydra sei mitverantwortlich, dass Russland international als Tyrann und Göre wahrgenommen werde - und im schlimmsten Fall als internationale Bedrohung. Dass das bisherige Vorgehen des Nachrichtendiensts langfristig negative Folgen haben könnte, davon ist auch einer von Galeottis Informanten überzeugt: "je beschäftigter und 'produktiver' die einzelnen Stellen sind, desto mehr werden wir dafür bezahlen müssen, früher oder später."

Dass die Macht der russischen Geheimdienste nicht nur politische Bereiche berührt, zeigt eine Meldung, die jüngst die Runde gemacht hat. Während der olympischen Winterspiele in Sotschi sollen Mitarbeiter des FSB als Dopingkontrolleure aufgetreten sein. Russischen Athleten, die in Wirklichkeit mit Steroiden vollgepumpt waren, verhalfen sie dadurch womöglich zu negativen Testergebnissen. Sollte das stimmten, dann bekam Putin durch den Einsatz von Geheimdiensten nicht nur sichere Spiele, sondern auch vermeintlich saubere.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: