Russischer Bericht zum Kaczynski-Absturz:"Das ist eine Lüge!"

Russland gibt einem betrunkenen polnischen General die Schuld am Absturz des Flugzeugs von Präsident Kaczynski. Polnische Medien reagieren darauf mit Zweifeln und Ablehnung.

Thomas Urban, Warschau

"Die Russen verbergen die Wahrheit." Mit dieser Schlagzeile macht am heutigen Donnerstag das Warschauer Boulevardblatt Fakt auf.

Polen zu Kaczynski-Absturz: Fluglotsen abgelenkt

Wrackteile der abgestürtzten polnischen Präsidentenmaschine bei Smolensk. Die polnische Presse ist nicht einverstanden mit dem Ergebnis des Untersuchungsberichts aus Russland.

(Foto: dpa)

Sein größter Konkurrent, der Super Express, reagiert gänzlich anders auf den am Mittwoch vorgelegten russischen Abschlussbericht über den Absturz der polnischen Präsidentenmaschine am 10. April 2010: "General Blasik war betrunken."

Die Überschrift des Artikels unmittelbar darunter lautet allerdings: "Das ist eine Lüge!" Dieser Satz stammt vom offiziellen Beobachter Warschaus bei der russischen Expertenkommission, dem ehemaligen Oberst der polnischen Luftstreitkräfte Edmund Klich.

Auch die seriöse Presse schreibt von der "russischen Wahrheit". Im Leitartikel der nationalkonservativen Rzeczpospolita heißt es: "Die Russen haben es nicht geschafft, objektiv zu bleiben. Durch ihre Einseitigkeit haben sie das Vertrauen in ihre Ehrlichkeit und ihre Absichten selbst untergraben."

Die Schlagzeilen und Kommentare beziehen sich darauf, dass der Bericht nur dürre Angaben über die Tätigkeit der Smolensker Fluglotsen enthält, die offenbar den in dichtem Nebel anfliegenden Piloten falsche Höhenangaben gemacht und sie dann zu spät über die zu schnelle Annäherung an den Boden gewarnt haben.

In dem russischen Bericht heißt es dazu kurz und knapp, die Fluglotsen und die technische Ausstattung des Flughafens hätten keinerlei Einfluss auf den Absturz der polnischen Tupolew gehabt.

Bei dem Unglück waren alle 96 Personen an Bord umgekommen, an ihrer Spitze der polnische Staatspräsident Lech Kaczynski, eine Gruppe führender Parlamentsabgeordneter sowie die fünf höchsten Generäle der polnischen Streitkräfte.

Einer von ihnen, der Luftwaffenkommandeur Andrzej Blasik, befand sich den Aufzeichnungen der Flugschreiber zufolge im Cockpit und gab den Piloten vorschriftwidrig Anweisungen. Laut dem Bericht hatte er 0,6 Promille Alkohol im Blut.

Dass der russiche Bericht diesen Umstand besonders herausstellt, wird von mehreren polnischen Kommentatoren beklagt. Denn dadurch würden überall auf der Welt bestehende Vorurteile nur verstärkt.

Seit der Vorstellung des Berichtes beherrscht das Thema sämtliche polnischen Medien. Fast alle Fernsehkanäle brachten am Mittwochabend Sondersendungen, in Fakt nimmt es am Donnerstag die ersten sechs Seiten ein, in Rzeczposolita fünf, in der linksliberalen Gazeta Wyborcza gar acht volle Seiten.

Sämtliche Blätter räumen dabei ein, dass auf der polnischen Seite schwerste Fehler und Unterlassungen begangen worden waren. Doch möchte sich die Mehrheit der Kommentatoren nicht damit abfinden, dass der russische Bericht Fehler und Mängel auf der eigenen Seite entweder für unbedeutend erklärt oder sie überhaupt nicht erwähnt.

Von den überregionalen Zeitungen rät allein die linksliberale Gazeta Wyborcza zur Mäßigung. Zu den Vorwürfen der polnischen Seite, die russischen Fluglotsen hätten die Landung verbieten müssen, schreibt das Blatt: "Es ist völlig unangebracht, ihnen die Schuld dafür zu geben, dass sie uns nicht vor dem eigenen Wahnwitz bewahrt haben. Nicht die russischen Kontrolleure saßen am Steuerknüppel." Die Polen hätten schließlich um die schlechte Qualität der technischen Einrichtungen in Smolensk gewusst.

Einig sind sich die Kommentatoren aller Blätter allerdings darin, dass der von der russischen Untersuchungskommission vorgestellte Bericht nur zu neuen Spannungen zwischen Warschau und Moskau führt.

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