Russische Militärparade auf der Krim zum "Tag des Sieges":Vernunft marschiert nicht

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Soldaten der russischen Schwarzmeerflotte proben eine Parade zum Tag des Sieges in Sewastopol auf der Krim (Foto: AFP)

Geht es nach Kanzlerin Merkel, dann sollte Putin am 9. Mai, dem "Tag des Sieges", die Militärparade auf der Krim nicht besuchen. Den Russen würde Russlands Präsident so zwar zeigen, wie wenig ihn die Meinung des Auslands interessiert. Für den Westen sei eine Teilnahme vor allem eines: ein deutlicher Stinkefinger.

Ein Kommentar von Kurt Kister

Der Verdacht, bei Angela Merkel könne es sich um eine Meisterin des gesprochenen Wortes handeln, ist nie aufgekommen. Allerdings redet sie relativ selten unbedacht daher, so wie sie das etwa tat, als sie 2011 sagte, sie "freue" sich über den Tod von Osama bin Laden. Nun hat Merkel in einem sonderbar gewundenen Satz dem russischen Präsidenten Wladimir Putin einen Ratschlag gegeben: "Ich finde es schade, wenn ein solcher Tag genutzt wird, um in einem solchen Spannungsfeld eine solche Parade abzuhalten."

Mit dem Tag meinte Merkel den 9. Mai, an dem in Russland und anderswo in der Ex-Sowjetunion jedes Jahr des opferreichen Krieges gegen Deutschland gedacht und der Sieg, die deutsche Kapitulation am 8. Mai 1945, gefeiert wird. Mit dem "Spannungsfeld" meinte sie unkonkret, aber deutlich die Teilnahme Putins an einer Parade auf der gerade annektierten Krim.

Deutsche tun auch mehr als 70 Jahre nach dem Überfall auf die Sowjetunion gut daran, Russen oder Ukrainern keine Vorschläge zum Ablauf solcher Gedenkfeiern zu geben. Die meisten Deutschen - und keineswegs nur "die Nazis" - wollten damals die Sowjetunion von der Landkarte tilgen und die Menschen versklaven. Das wirkt bis heute nach, auch in der genuin nationalistischen Weltsicht, aus der heraus Putin Politik macht und die von sehr vielen Russen goutiert wird.

Kein Vaterland ist heilig, nicht einmal Russland

Merkel ist, auch wegen ihrer DDR-Biografie, die Bedeutung der Paraden sehr bewusst. Sie saß 2010 an der Seite des damaligen Ministerpräsidenten Putin und sah sich die Siegesparade in Moskau an (Schröder hatte das bereits 2005 getan). Das galt als ein weiterer Beweis der neuen Freundschaft nach dem, so dachte man, irreversiblen Ende der Konfrontation zwischen West und Ost. Der Sturz des ukrainischen Präsidenten Janukowitsch und die Reaktion Moskaus darauf, vor allem die wohlgeplante Annexion der Krim, haben gezeigt, dass in der Politik nichts irreversibel ist.

Weil die Siegesparaden ein Symbol russischer Identität sind, wäre die Anwesenheit Putins bei einer solchen Parade auf der Krim ein sehr starkes Symbol. Für den Hausgebrauch würde Putin so die "Heimholung" der Krim all jenen vielen demonstrieren, die an ein starkes, autoritär regiertes Russland ohne zu viele Bürgerrechte und vor allem ohne "Einmischung" von außen glauben. Nach außen, in Richtung Europa und USA, wäre Putins Abnahme der Parade auf der Krim jene Geste, die man gemeinhin den Stinkefinger nennt.

Die Eskalation des Konflikts hat viel damit zu tun, dass auf allen Seiten - in Kiew, in der Ostukraine und in Moskau - ein hohes Maß an Irrationalität herrscht. Weder sind die Anhänger der Kiewer Übergangsregierung in toto "Faschisten", noch sind jene ethnischen Russen in der Ostukraine, die einen föderativen Staat wollen, alle Terroristen. Und kein Vaterland ist heilig, nicht einmal Russland. Symbolschwere Paraden nebst höchst schiefen historischen Analogien erhöhen das Maß der Irrationalität. Gerade Deutsche wissen das aus leidvoller Erfahrung.

© SZ vom 08.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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