Rumänien:Das Misstrauen ist ungebrochen

Proteste in Rumänien

Demonstranten in Bukarest formen mit den Lichtern ihrer Smartphones die rumänische Fahne bei ihrer Kundgebung gegen die Regierung vom Sonntag.

(Foto: Darko Bandic/dpa)

In Rumänien demonstrieren weiter Zehntausende gegen die Regierung - obwohl diese ihren umstrittenen Eilerlass zur Strafmilderung bei Korruption zurückgenommen hat.

Von Florian Hassel, Warschau

Es sind höchstens 45 Tage, die Ana Birchall das Amt der rumänischen Justizministerin ausfüllen darf, und viele Rumänen werden der Ministerin täglich auf die Finger sehen. Schließlich brachte ihr Amtsvorgänger Florin Iordache Hunderttausende Rumänen auf die Straße, als er über Nacht einen Eilerlass verabschiedete, mit dem Hunderte mutmaßlich korrupter Politiker straffrei gestellt wurden - viele von ihnen aus den Reihen der Regierungspartei PSD. Zwar ist der Erlass seit dem 5. Februar widerrufen und am Donnerstag trat Iordache zurück. Doch der Rest der Regierung ist noch im Amt, ihr weiteres Vorgehen fraglich. Und deshalb gehen Zehntausende Rumänen weiter auf die Straße und beobachten, was Ana Birchall nun tut, die auch Ministerin für Europaangelegenheiten ist und das Amt der Justizministerin nur vorübergehend übernommen hat.

Trotz der Proteste hat sich die Rhetorik der Regierung nicht geändert

Noch am Montag wollte sich Birchall mit den Leitern des aus hohen Richtern und Staatsanwälten bestehenden Justizrates CSM ebenso treffen wie mit den Chefs der Anti-Korruptions-Behörde DNA und der gegen Terror und organisierte Kriminalität kämpfenden Sonderstaatsanwaltschaft DICOT. Nach wie vor sei "weiterhin eine Analyse des Strafgesetzbuches notwendig", betonte die neue Ministerin. Genau dies freilich - Analyse und Änderung des Strafgesetzbuches - schoben die Regierung und der nun zurückgetretene Justizminister vor, um ihren Eilerlass durchzusetzen, der unter anderem PSD-Parteichef Liviu Dragnea davor bewahrt hätte, sich in einem laufenden Prozess wegen Amtsmissbrauch zu verantworten und bei einer Verurteilung - wegen einer noch laufenden Bewährungsstrafe - ins Gefängnis zu wandern.

Da die Rhetorik der Regierung sich nicht geändert hat und das Misstrauen ungebrochen ist, demonstrierten in Rumänien auch am Wochenende wieder mindestens 100 000 Menschen. Der größte Protest fand wieder auf dem Siegesplatz vor dem Regierungsgebäude in Bukarest statt: Bis zu 70 000 Menschen trafen sich, um am Sonntagabend mit Hilfe farbiger Papierstückchen und dem Licht von Taschenlampen das bunte Bild einer riesigen rumänischen Flagge in den Nachthimmel zu malen - und zudem den Rücktritt der erst Anfang Januar vereidigten Regierung zu fordern.

Deren Vertreter versuchen die Proteste als "manipuliert" oder vom Ausland gesteuert zu diskreditieren - etwa von US-Milliardär George Soros. Tatsächlich haben die aktuellen Demonstrationen "der Straße" gegen die Regierung - wie schon vorangegangene, kleinere Proteste im November 2015 - "keine Führer, höchsten Leute, die sie ermöglichen", sagte Florin Badita der Agentur Reuters. Badita, 28 Jahre alter Kartograph aus der Stadt Cluj, ruft die Rumänen auf der Facebook-Seite Coruptia Ucide ("Korruption tötet") zum Kampf gegen Rumäniens Grundübel, die Korruption, auf - und findet damit über 43 000 regelmäßige Leser. Begonnen hat er mit Aufrufen Ende Oktober 2015 nachdem bei einem katastrophalen Feuer im Bukarester Nachtclub Colectiv 64 Menschen starben. Seit Anfang Februar ist Badita auf unbezahltem Urlaub und koordiniert mit Gleichgesinnten per Internet die jeweils nächsten Anti-Regierungs-Demos in Bukarest und Dutzenden anderen Städten. Der nächste Termin in Bukarest: der kommende Sonntag, 19 Uhr.

Übergreifend politisch organisiert sind Rumäniens Aktivisten nicht. Ende 2015 verpufften die Proteste nach dem Feuer im Colectiv-Club rasch. Der in Bukarest gegen Korruption in der Stadtverwaltung kämpfende Mathematiker und Aktivist Nicusor Dan zog zwar im Sommer 2016 in den Stadtrat von Bukarest ein, und bei der landesweiten Wahl am 11. Dezember 2016 mit der Union für die Rettung Rumäniens sogar ins Parlament.

Hunderten Funktionären der Regierungspartei droht ein Gerichtsprozess

Mehr als ein Achtungserfolg allerdings war dies nicht; andere liberale oder konservative Parteien in Rumänien sind zudem politisch profillos, zerstritten oder selbst von Skandalen gebeutelt. Die nationalliberale Partei von Präsident Klaus Johannis hat zur Zeit noch nicht einmal einen Vorsitzenden. Der Mangel an politischen Alternativen ermöglichte den notorisch korrupten Postkommunisten der PSD den Wahlsieg - den sie mit dem Eilerlass in Straffreiheit für etliche prominente Parteiführer ummünzen wollten.

Sollte die Straffreiheit nicht noch in anderer Form - etwa als Gesetz - zurückkehren, müssen Hunderte bereits angeklagte PSD-Funktionäre vor Gericht. Auch Parteichef Dragnea, der Präsident der unteren Parlamentskammer ist, muss dann wieder zum Prozess wegen des Verdachts auf Amtsmissbrauch in einem Bukarester Gericht antreten. Gleiches gilt für den Vorsitzenden der oberen Parlamentskammer: Ex-Ministerpräsident Călin Popescu Tăriceanu, dessen Partei ALDE zusammen mit der PSD die Regierung bildet, ist des Meineids in einer Privatisierungsaffäre angeklagt, die den Staatsanwälten zufolge Rumäniens Steuerzahler 145 Millionen Euro gekostet hat.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: