Rumänien:Heftige Proteste erschüttern Rumänien

  • Die neue rumänische Regierung will mit einem Erlass Hunderten wegen Amtsmissbrauchs angeklagten Amtsträgern Straffreiheit gewähren.
  • Unter den Nutznießern dieses Erlasses ist Rumäniens mächtigster Mann Liviu Dragnea.
  • Hunderttausende Menschen demonstrieren gegen die Maßnahme, es kommt zu Gewalt.

Von Florian Hassel, Warschau

Die Proteste in Rumänien reißen nicht ab. Auch am Donnerstag gingen wieder zehntausende Menschen auf die Straße, um gegen die sozialliberale Regierung zu demonstrieren. Im Vergleich zum Vortag blieben die Proteste verhältnismäßig friedlich. Sie richten sich gegen einen Eilerlass, der Hunderte wegen Amtsmissbrauchs angeklagte Amtsträger straffrei stellt.

Die rumänische Regierung will ungeachtet der größten Proteste seit dem Ende des Kommunismus und starker internationaler Kritik offenbar an dem Erlass festhalten. Prominentester Nutznießer der in der Nacht zum Mittwoch verkündeten Regelung, mit der Rumäniens Justizminister das Strafgesetzbuch änderte, ist Liviu Dragnea. Er ist der Chef der Regierungspartei PSD und seit dem Wahlsieg seiner Partei im Dezember der mächtigste Mann Rumäniens.

Dragnea ist wegen Amtsmissbrauchs angeklagt und müsste bei einem Schuldspruch womöglich ins Gefängnis, da er 2016 bereits wegen Wahlfälschung verurteilt wurde und noch die Bewährungsfrist läuft. Insgesamt hat Rumäniens Anti-Korruptionsbehörde DNA 1170 Amtsträger wegen Amtsmissbrauch angeklagt und ermittelt aktuell in 2151 weiteren Fällen. Viele mutmaßliche Straftäter würden durch den Erlass straffrei ausgehen.

Die Regierung brandmarkt die Proteste als Versuch, Rumänien zu destabilisieren

Bereits am Mittwoch waren in Bukarest und 55 anderen Städten nach Polizeiangaben 250 000 Menschen auf die Straße gegangen - anderen Angaben zufolge waren es bis zu 300 000 Demonstranten. Es sind die größten Proteste seit Ende des Kommunismus 1989. Der Vorstand der Regierungspartei PSD beschloss indes, den Erlass nicht zurückzunehmen. Die Proteste seien ein Versuch, Rumänien zu destabilisieren.

Das sehen nicht alle PSD-Politiker so: Etliche von ihnen kündigten der Regierung die Gefolgschaft auf. Handelsminister Florin Jianu trat zurück. In Bukarest hatten am Mittwochabend bis zu 150 000 Menschen den Rücktritt der Regierung gefordert. Dann aber mischten sich Dutzende angeblicher Fußballfans unter die Demonstranten und griffen Polizisten mit Feuerwerkskörpern und Eisblöcken an. Die Polizei löste daraufhin die Kundgebung auf. Dem unabhängigen Fernsehsender Digi24 zufolge sollen die Ultras Anhänger des Fußballclubs Dinamo Bukarest gewesen sein, der über Verbindungen zur PSD verfügen soll. Der Fanclub des Vereins dementierte, an den Ausschreitungen beteiligt gewesen zu sein.

Der Inlandsgeheimdienst SRI informierte Innenministerium und Polizei im Vorfeld ergebnislos über die geplante Sprengung der Demonstration. Innenministerin Carmen Dan, enge Vertraute von PSD-Chef Dragnea, leugnete zunächst, informiert worden zu sein. Dem widersprachen Rumäniens Generalstaatsanwalt und Präsident Klaus Johannis. "Das Innenministerium wusste exakt, wann, wo und durch welche Gruppen der friedliche Protest aufgebrochen werden sollte", sagte Johannis. "Anstatt sie zu isolieren, wurden sie auf friedliche Demonstranten losgelassen."

Der Konflikt findet nicht nur auf der Straße statt. Sowohl Präsident Johannis wie der Oberste Justizrat (CSM) haben wegen des Eilerlasses das Verfassungsgericht angerufen. Die Botschafter der USA, Deutschlands, Frankreichs und weiterer Länder warnten die Regierung in Bukarest bereits, ihr Vorgehen könne dem Image Rumäniens und seinem Stand in Nato und EU schaden.

EU-Kommissionsvize Frans Timmermans deutete im Europäischen Parlament an, wenn es bei dem umstrittenen Erlass bleibe, könne die EU Zuschüsse an Rumänien einfrieren oder sperren. Wenn die Strafbefreiung in Kraft trete, "könnte dies auch die Auszahlung europäischer Gelder in Rumänien beeinträchtigen". Rumänien bekommt aus Brüssel knapp sechs Milliarden Euro im Jahr. 2015 fror die EU eine Milliarde Euro wegen mutmaßlicher Unregelmäßigkeiten ein.

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