Rüttgers und die Wahl in NRW:Implosion einer Regierung

Schwarz-Gelb in Düsseldorf steht vor dem Aus. In der NRW-CDU fällt man übereinander her, an Indiskretionen ist kein Mangel. Nur noch ein Wunder rettet Rüttgers.

Hans Leyendecker

Wenn ein Hohlkörper durch äußeren Überdruck schlagartig zerstört wird, spricht die Physik von Implosion. Bei diesem meist überraschend auftretenden Ereignis kann es passieren, dass durch rückläufige Druckwellen Splitter nach außen fliegen.

Jürgen Rüttgers NRW CDU dpa

Seine Ära könnte bald enden: Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) bei einem Wahlkampfauftritt.

(Foto: Foto: dpa)

In der Politik gibt es so etwas auch; es passiert meist an Wahlsonntagen. Implodiert im Mai in Nordrhein-Westfalen die Regierung, dann fliegen die Splitter bis nach Berlin.

Die Ära Rüttgers droht kurz zu bleiben

In knapp drei Wochen finden im bevölkerungsreichsten Bundesland Landtagswahlen statt, und es gilt derzeit als wahrscheinlich, was noch vor einem halben Jahr als völlig unwahrscheinlich galt: Es wird vermutlich keine Neuauflage der CDU/FDP-Koalition geben.

Und was vor der Bundestagswahl im vergangenen Herbst völlig ausgeschlossen zu sein schien, ist inzwischen eine wirklich ernsthafte Option: Es kann sogar zu einer Neuauflage von Rot-Grün kommen, obwohl die Beziehung zwischen den Sozialdemokraten und den Grünen an Rhein und Ruhr traditionell neurotisch ist.

Die SPD-Herausforderin Hannelore Kraft liegt in Umfragen fast gleichauf mit dem CDU-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers. Die Frau aus Mülheim könnte also die kurze Ära des christdemokratischen Ministerpräsidenten Rüttgers beenden.

Das Bemerkenswerte an dieser Aussicht ist, dass es kein rasanter Sturz wäre, keine plötzliche Abwahl.

Die Absetzmanöver haben schon begonnen

Dieser Ministerpräsident würde nach nur fünf Jahren Amtszeit sanft verschwinden, fast so sanft wie Helmut Kohl 1998 nach 16 Jahren Kanzlerschaft verschwand.

Es ist schon grotesk: Rüttgers wurde 2005 vor allem gewählt, weil der Bundestrend scharf gegen Rot-Grün lief. Insbesondere die SPD im Bund wechselte damals fast täglich zwischen Krise und Erschöpfung. Außerdem waren viele Wähler in NRW nach 39 Jahren die SPD als Regierungspartei einfach leid.

Auch jetzt ist es wieder der Bundestrend, der wie ein riesiger Schatten über dem Wahltag am 9. Mai liegt - aber diesmal geht der Trend voll gegen Rüttgers, mit Folgen für Berlin. Wenn Düsseldorf fällt, kippt auch die schwarz-gelbe Mehrheit im Bundesrat. Das 2005 aufgelegte Projekt von der "Blaupause" Düsseldorf für den Bund ist kein Wahlkampfschlager.

Die üblichen Schuldzuweisungen und Absetzmanöver haben schon begonnen. In Berlin wird darauf verwiesen, dass Rüttgers, nicht zuletzt in der Sponsoring-Affäre, die eigentlich gar keine richtige Affäre war, keine gute Figur gemacht habe.

An Rhein und Ruhr erklärt ein Christdemokrat aus der ersten Reihe, "der Jürgen hat ja keinen einfachen Wahlkampf".

Rüttgers und die Quittung fürs Fallenlassen

In der NRW-CDU fallen Funktionäre wie Skorpione übereinander her, an Indiskretionen über irgendwelche Schweinereien ist kein Mangel. Rüttgers bekommt die Quittung dafür, dass er immer wieder Leute hat fallenlassen. Dabei hat er als Ministerpräsident eigentlich gar nicht viel falsch gemacht.

Die Regierung hat die Verwaltung gestrafft, in Bildung und Lehrerstellen investiert und wenig Angriffsflächen für die Opposition geboten. Alles lief passabel, jedenfalls nicht schlechter, als es die Sozialdemokraten vorgemacht haben. Einen Stempel freilich hat Rüttgers dem Land nicht aufgedrückt. Das lag am Personal, an den Zeiten und auch an ihm.

Zeitweise trat er so auf, als wäre er der legitime Nachfolger des langjährigen SPD-Ministerpräsidenten Johannes Rau. Das war aus mancherlei Gründen keine gute Idee. Der rhetorisch brillante Predigersohn Rau war ein Menschenfischer - und das ist der misstrauische und vorsichtige Rüttgers nun wirklich nicht.

Zwar wirbt die CDU auf Plakaten mit der Kompetenz des detailbesessenen Ministerpräsidenten, aber der möchte am liebsten den Landesvater mimen. Rüttgers sucht immer noch nach seiner Rolle. In seinen Kreisen nennt man ihn den "Arbeiterführer".

Seine jüngste Erklärung, die Losung "Privat vor Staat" tauge heute nicht mehr, war zugleich eine Distanzierung von dem unpopulär gewordenen Motto seiner CDU-FDP-Koalition. Jetzt fällt auf, dass die CDU keine Strategie für ihren Wahlkampf hat, es ist nicht mal ein richtiger Kurs.

Erst war er präsidial, dann bürgerlich-liberal, jetzt geht er nur noch gegen links-links. So nölig, wie ein Drehorgelspieler seine Moritat verkündet, warnt Rüttgers vor der Volksfront aus Rot-Rot-Grün.

Hoffen auf ein Wunder

Aber Hui Buh, das Schreckgespenst, lässt sich nicht einfach in der Retorte erzeugen.

Die Linkspartei in NRW ist so von gestern wie kein anderer Landesverband der neuen Partei. Wer sich nicht in der Geschichte der Trotzkisten, Stalinisten, Kommunisten und KBW-Truppen auskennt, versteht die Biographien vieler Kandidaten dieser Partei nicht.

Die SPD in NRW wird sich von diesen Links-Ewiggestrigen nicht mal tolerieren lassen. Sonst wäre es mit ihr im Lande und mit den neuen Modellen 2013 im Bund vorbei. Das wissen alle Beteiligten.

Wenn kein Vulkan plötzlich Asche auf NRW spuckt, wird es bis Mai so bleiben, wie der Wahlkampf angelaufen ist: Die CDU ist mit sich selbst beschäftigt, die FDP mit ihren Thesen; die SPD darf auf die Gewohnheiten ehemaliger Stammwähler hoffen, und die Grünen haben, einschließlich Schwarz-Grün, alle Optionen, favorisieren aber die einst kaputte Beziehung mit der SPD.

Rüttgers kann nur ein Wunder helfen.

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