Rüffel aus Brüssel:Italien beklagt das "Kommissariat von Merkozy"

In Italien wächst der Vorwurf, die EU behandle das Land demütigend und nehme die Regierung nicht mehr ernst, Ministerpräsident Silvio Berlusconi verbittet sich Zurechtweisungen aus Brüssel. Der umstrittene Regierungschef versucht nach dem Rüffel erneut, eine Rentenreform durchzusetzen - doch die einberufene Krisensitzung endet ohne Ergebnis.

Andrea Bachstein, Rom

Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi verbittet sich Zurechtweisungen aus Brüssel. Auf die schweren Rüffel und das Hausaufgabenpaket, die er vom Euro-Gipfel nach Hause gebracht hat, reagierte er am Montagabend: Niemand in der EU sei in der Position, "den Partnern Lektionen zu erteilen", ließ der Premier in Erklärung mitteilen, und "niemand kann sich selbst zum Kommissar ernennen".

In einem "Gespräch unter Freunden" hatten Angela Merkel und Nicolas Sarkozy in Brüssel Berlusconi ins Gebet genommen. Auch andere hohe EU-Vertreter haben ihm deutlich gemacht, dass Italien schnell weitere und glaubwürdige Schritte unternehmen müsse, um seine Wirtschaft anzukurbeln und seine Staatsverschuldung von 120 Prozent der Wirtschaftsleistung einzudämmen

Ultimatum bis Mittwoch

Für die Vorschläge setzte EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy ein Ultimatum - sie sollen bis Mittwoch vorliegen. Eine deshalb von Berlusconi am Montagabend einberufene Sondersitzung des Kabinetts in Rom endete jedoch ohne Beschlüsse. Italiens Wirtschaft sei stabil, hatte er zuvor versichert, und die Regierung werde tun, was im nationalen und europäischen Interesse nötig sei. Die Bankenkrise, sagte Berlusconi, sei vor allem ein deutsch-französisches Problem.

Opposition und Medien in Italien haben mit Sorge kommentiert, wie Berlusconi in Brüssel behandelt wurde. Sie zeige, dass Europa das Land und seine Regierung nicht mehr ernst nehme. Sie stehe bereits praktisch unter Kommissariat von "Merkozy". Die Verantwortung für das fehlende Vertrauen in Italien geben sie dem Premier und seiner gelähmten Regierung. Bei dem Treffen des italienischen Kabinetts sollte es unter anderem um den Verkauf von Staatseigentum und vor allem um die Renten gehen.

In Brüssel war Berlusconi aufgetragen worden, auch in das System der Altersvorsorge einzugreifen. Im Gespräch ist vor allem, das Renteneintrittsalters auf 67 Jahre anzuheben, wie es in Deutschland seit längerem beschlossen ist. Es wird geschätzt, dass dies Einsparungen von zwei Milliarden Euro im Jahr bringen könnte. Er sei immer schon für solche Veränderungen gewesen, sagte Berlusconi dazu und kündigt an: "Ich will die Lage nutzen, um Schritte vorwärts zu bringen, die ich wegen Meinungsverschiedenheiten in der Regierungsmehrheit bisher nicht machen konnte."

Was er meint, ist der Widerstand seines Koalitionspartners Lega Nord. Sie verweigert seit Monaten Reformen bei den Renten. Deshalb waren sie nicht Teil der im Sommer verabschiedeten Spargesetze, obwohl dies damals unter anderem die Europäische Zentralbank verlangt hatte.

Zerreißprobe für Berlusconis Regierung

Noch ehe das Kabinett in Rom zusammentrat, war klargeworden, dass die Regierung erneut vor einer Zerreißprobe steht. Die Lega Nord ließ trotz der Mahnung aus Brüssel keinen Zweifel daran, dass sie weiter Änderungen bei den Renten ablehnen will. "Die EU kann verlangen, was sie will", sagte Lega-Innenminister Roberto Maroni, "aber dann hängt es von den Bedingungen ab, denn es entscheiden die nationalen Regierungen." Aus der Lega Nord kamen gar Drohungen, Proteste zu organisieren.

Ohne die Stimmen der Lega könnte die Rentenfrage Berlusconis Regierung wieder in Schwierigkeiten geraten. Sie hatte erst jüngst eine Vertrauensabstimmung hinter sich gebracht. Ein Vertreter der Berlusconi-kritischen kleinen Parteien des Mitte-Rechts-Lagers kündigte an, er werde im Parlament für eine solche Änderung stimmen. Die Partei FBI des Parlamentspräsidenten Gianfranco Fini teilt mit, auch sie sei bereit, Rentenreformen zuzustimmen. Bedingung dafür sei allerdings, dass Silvio Berlusconi anschließend sofort zurücktrete.

Auch in Brüssel sah sich der Ministerpräsident offenbar indirekten Forderung nach seinem Rücktritt gegenüber. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso führte dem Italiener das Beispiel Spaniens vor Augen. Ministerpräsident Zapatero habe schwere Reformen umgesetzt und zugleich den Weg für vorgezogene Neuwahlen eingeschlagen, gaben italienische Medien Barrosos Worte wieder. Der hatte beim Euro-Gipfel auch gesagt: "Es ist nicht nur Italien in Gefahr, sondern Italien ist die Gefahr für ganz Europa."

Das Staatsdefizit beläuft sich auf mehr als 1800 Milliarden Euro. Dennoch sagen auch unabhängige Experten wie der Wirtschaftsprofessor Giuseppe Di Taranto von der Universität Rom, Italiens Situation sei weit entfernt von der Griechenlands und eine Staatspleite sei unmöglich. Dem Staatsdefizit, so Di Taranto, stünden auch ein Staatseigentum in derselben Höhe gegenüber und ein dreimal so großes Privatvermögen.

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