Rücktrittsdrohung von Rösler:Spieler oder Überzeugungstäter

Oft verbinden Politiker Sachfragen mit ihrem persönlichen Schicksal - wie etwa Philipp Rösler. Welche Personen das tun und was sie damit bezwecken.

Corinna Nohn

Die einem sehen ihn schon den Job verlieren. Andere prophezeien zumindest, dass Philipp Rösler am Ende dumm dastehen wird, wenn er seine Pläne zur Kopfpauschale eindampfen muss.

Rücktrittsdrohung von Rösler: Gesundheitsminister Philipp Rösler sitzt grübelnd auf seinem Sessel im Bundestag.

Gesundheitsminister Philipp Rösler sitzt grübelnd auf seinem Sessel im Bundestag.

(Foto: Foto: dpa)

Am Montagabend hatte der 36-jährige Minister in der ARD gesagt: "Wenn es mir nicht gelingt, ein vernünftiges Gesundheitssystem auf den Weg zu bringen, dann will mich keiner mehr als Gesundheitsminister haben."

Viele fragen sich nun: Wie kommt dieser smarte Newcomer dazu, mit Rücktritt zu drohen? Immer wieder verbinden Politiker Sachfragen mit ihrem persönlichen Schicksal. Die einen aus purem Kalkül heraus: Man denke nur an Gerhard Schröder, der als Kanzler die Vertrauensfrage mit einer Abstimmung über den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan verband - und damit Erfolg hatte.

Andere sind Überzeugungstäter. "Das sind Leute, die ganz klar zu ihrer politischen Auffassung stehen und irgendwann sagen: Das kann ich nicht mehr mittragen", sagt Armin Nassehi, Professor für Kultur- und Politische Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Bei Rösler könnte es wohlmöglich Selbstüberschätzung sein, sagt Nassehi, der auch im Vorstand des Münchner Kompetenzzentrums Ethik sitzt.

"Auf jeden Fall ist es spannend, weil er auf der einen Seite noch ein politischer Nobody ist, andererseits ganz gut ankommt. Jetzt ist die Frage, wie schwer seine Pfunde in der Partei wiegen."

Ob Röslers Ankündigung naiv war? "Es passt auf jeden Fall zu ihm, dass er mit diesem Rücktritt kokettiert", stellt Nassehi fest. "Er hatte ja auch gleich zu Anfang gesagt, dass er kein Berufspolitiker sein will, dass er spätestens mit 45 wieder aussteigt." Vielleicht entpuppe er sich als Typ, dem es tatsächlich allein auf die Sache ankomme.

Machttyp Schröder

Ganz anders als bei Rösler sei die Situation bei Ex-Kanzler Gerhard Schröder gewesen. "Das war riskant, aber Schröder hatte als Kanzler natürlich andere Möglichkeiten, Macht zu demonstrieren. Und Schröder ist ein Spieler - der liebt solche riskanten Strategien", sagt Nassehi.

Schröder stehe für den klassischen Politikertyp, der Sachfragen mit seiner Person verknüpfe, um Gefolgschaft zu produzieren, sagt Nassehi: "Solche Typen sehen eine Vertrauensfrage schlicht als legitimes politisches Mittel an, um Druck zu erzeugen und Macht zu demonstrieren."

Er finde Schröders Vorgehensweise moralisch jedoch nicht verwerflich, sagt der Wissenschaftler. Natürlich habe dahinter Kalkül gesteckt. "Aber er hat ja nicht gedroht, seinen Leuten die Butter vom Brot zu nehmen, sondern sie lediglich zur Entscheidung gezwungen: Stehe ich hinter dieser Politik oder nicht?"

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wer ein Überzeugungstäter ist und wie Politiker agieren sollten, die ihre Versprechen nicht halten können.

Als Hinterbänkler kann man nicht mit Rücktritt drohen

Überzeugungstäterin Leutheusser-Schnarrenberger

Leutheusser-Schnarrenberger Nassehi Roesler, dpa

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger war 1995 als Justizministerin zurückgetreten, weil sie den Großen Lauschangriff nicht mittragen wollte. Bei den späteren Beratungen dazu im Bundestag kämpfte sie mit den Tränen.

(Foto: Foto: dpa)

Ein Beispiel für die Überzeugungstäter ist Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Die 58-jährige Liberale hatte ihr Amt schon ein mal mehr als drei Jahre unter Kanzler Helmut Kohl ausgeübt.

Im Dezember 1995 trat sie zurück, nachdem sich die Parteibasis in einer Umfrage für den Großen Lauschangriff ausgesprochen hatte. Leutheusser-Schnarrenberger konnte die Tränen damals nicht zurückhalten.

Die Juristin, die dem links-liberalen Flügel der FDP angehört, hatte sich deutlich gegen den Lauschangriff ausgesprochen und ihr Verbleiben im Amt an diese Abstimmung gebunden. "Um ihr Gesicht zu wahren, musste sie natürlich zurücktreten - das wirkte wiederum honorig", sagt Nassehi. Andererseits sei sie vermutlich einer Entlassung zuvorgekommen, "denn man kann kein Ministeramt gegen den Willen der Partei ausüben".

"Druck auszuüben, indem man seine Person mit einer Sachfrage verbindet, ist natürlich nur in einer exponierten politischen Position möglich", sagt Nassehi. "Stellen Sie sich mal vor, so ein Hinterbänkler steht auf und sagt: Da mache ich nicht mit. Der ist dann weg." Novizen im Bundestag müssten erst mal lernen, wie stark der Fraktionszwang ist.

Die Personalisierung der Politik nimmt zu

Erstaunlich findet es Soziologe Nassehi, wie deutlich die Politik mittlerweile personalisiert sei. "Das ist nichts Neues, wenn man zum Beispiel an die Ostpolitik Willy Brandts denkt", sagt Nassehi. "Aber dass das so offensiv vorgetragen wird, ist vergleichsweise neu."

Das liege auch daran, dass die politischen Trennlinnen zwischen den Parteien an Bedeutung verlören. "Dadurch werden Personen wichtiger."

Dass es riskant sein kann, wenn eine Person eine Sachentscheidung durchsetzen möchte, zeigt zum Beispiel Barack Obamas Versprechen, das Gefangenenlager Guantanamo binnen eines Jahres nach Amtsantritt geräumt zu haben. Im November 2009 gestand Obama ein, dass er dieses Versprechen nicht einhalten kann.

Fehler eingestehen, kann positiv wirken

"In solchen Fällen besteht die Kunst darin, den Vorgang entsprechend zu stilisieren, sich selbst trotz Scheiterns als positiv darzustellen", führt Nassehi an.

Dann müsse man rüberbringen: Ich habe es versucht, aber es hat wegen äußerer Umstände nicht geklappt. "Es kann ja auch sehr gut ankommen, wenn Politiker Fehler eingestehen."

Dann müssen Politiker nur den richtigen Zeitpunkt finden - bevor andere sie als Hochstapler enttarnen. "Wenn jemand etwas verspricht und nachher ganz klar das Gegenteil macht, wie zum Beispiel Frau Ypsilanti nach der Landtagswahl 2008 in Hessen, dann geht das immer schlecht aus", glaubt Nassehi.

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