Rücktritt von US-Justizminister Holder:Obama verliert seinen Lautsprecher

Für Eric Holder sind die USA eine "Nation von Feiglingen". Als Justizminister hat er gegen Rassismus gekämpft. Nun tritt er ab - und Obama muss jenen Mann ersetzen, dem das schwarze Amerika vertraut.

Von Matthias Kolb, Washington

Er lässt ihn nicht gerne ziehen, das ist unübersehbar. Barack Obama steht im East Dining Room des Weißen Hauses und überschüttet Eric Holder mit Lob. Dieser habe sich als Justizminister seit 2009 unermüdlich für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung eingesetzt. Holder war einer der wenigen persönlichen Freunde in Obamas Kabinett, doch der US-Präsident verliert zudem seinen wichtigsten Kämpfer für Bürgerrechte und jenen Minister, der die Sorgen des schwarzen Amerikas kennt und ihrer Wut Ausdruck verleiht.

Kaum war er zum ersten afroamerikanischen Justizminister ernannt worden, sorgte Eric Holder für Aufsehen. Im Februar 2009 sprach er in einer Rede vor Mitarbeitern Klartext: "Diese Nation hat sich stets stolz als ethnischer Schmelztiegel begriffen, aber in rassischen Dingen verhielten und verhalten wir uns oft wie eine Nation von Feiglingen." Zwar begegneten sich schwarze und weiße Amerikaner am Arbeitsplatz, nach Feierabend und am Wochenende aber sei die Gesellschaft kaum anders als vor 50 Jahren.

Im Gegensatz zu Obama, den Holder früh bei dessen Kandidatur fürs Weiße Haus unterstützt hatte, wurde der heute 63-jährige New Yorker stark durch das Civil Rights Movement für die Gleichberechtigung der Schwarzen geprägt. Holder nahm als Jurastudent als Sitzstreiks an der Columbia University teil, um ein Büro nach Malcolm X benennen zu dürfen. Die Schwester seiner Ehefrau war eine der ersten beiden Afroamerikaner, die 1963 ihr Studium an der University of Alabama begannen - und von der Nationalgarde beschützt werden mussten.

Obama selbst erinnerte in seiner Dankesrede an Holders Vater, der als Soldat im Zweiten Weltkrieg für Amerika sein Leben riskierte - und nach der Rückkehr feststellen musste, dass er in Restaurants nicht bedient wurde. Im Sommer 2013 nahm der Justizminister in einer viel beachteten Rede vor der schwarzen Bürgerrechtsorganisation NAACP Bezug auf die Biographie seines Vaters.

Als Jugendlicher, so Holder, habe ihn sein Vater beiseite genommen und ihm erklärt, wie er sich als schwarzer Mann bei Polizeikontrollen zu verhalten habe. "Ich bin mir sicher, dass mein Vater damals glaubte, dass die Generation meiner Eltern die letzte sein werde, die sich um ihre Kinder wegen solcher Dinge Sorgen machen müsse." Die "traurige Realität" sei jedoch, dass er nach dem Tod des unbewaffneten Teenagers Trayvon Martin dieses Gespräch mit seinem eigenen 15-jährigen Sohn habe führen müssen. Die bestehenden Missstände laut, deutlich und unmissverständlich anzusprechen - das war typisch für den 82. US-Justizminister, der in den Medien oft als "Obamas Blitzableiter" oder als "Obamas liberaler Krieger" bezeichnet wurde.

Dies tat Holder auch nach dem Tod des schwarzen Jugendlichen Michael Brown, der in Ferguson von einem Polizisten erschossen wurde. Obama, der erste schwarze Präsident Amerikas, gab sich staatsmännisch und mahnte zur Ruhe, während Holder deutlich mehr Verständnis für die Wut der Afroamerikaner in der Kleinstadt nahe St. Louis und im ganzen Land zeigte.

Nach tagelangen, gewalttätigen Protesten war es schließlich Eric Holder, der im August 2014 nach Ferguson reiste, um die Lage zu beruhigen. Anfang September nahm das Justizministerium Ermittlungen gegen die Polizei von Ferguson auf. Viele Beobachter teilten die Einschätzung der Washington Post, wonach Holder der Anführer der Schwarzen war, der Barack Obama niemals sein konnte (und wohl auch nicht wollte).

Wieso die Republikaner Holder verachten - und ihn Liberale lieben

Gerade nach Obamas Wiederwahl konzentrierte sich Holder darauf, alle Möglichkeiten seines Amts zu nutzen, um mehr Bürgerrechte durchzusetzen. Sein Ministerium ging juristisch gegen die von den Republikanern erlassenen Wahlgesetze in Texas und North Carolina vor, die Angehörige von Minderheiten diskriminierten, und unterstützte Klagen gegen das Verbot der Homo-Ehe vor dem Obersten Gerichtshof.

Er plädierte offen für eine Entkriminalisierung von Marihuana und setzte sich dafür ein, die Mindeststrafe für kleinere und gewaltlose Drogenvergehen abzuschaffen. Es sind vor allem junge Schwarze und Latinos, die unter dieser Fehlentwicklung des "Kriegs gegen die Drogen" leiden. "Zu viele Amerikaner sitzen viel zu lang in viel zu vielen Gefängnissen", bilanzierte Holder 2013 in einer weiteren provokanten Rede. Zwei Tage vor seiner Rücktrittserklärung konnte er stolz verkünden, dass die Zahl der Gefangenen in US-Gefängnissen erstmals seit Jahrzehnten zurückgegangen sei.

Sein offensives Auftreten und seine Positionen haben Eric Holder, den Obama stolz als "obersten Anwalt aller Amerikaner" bezeichnete, zu einer höchst umstrittenen Figur gemacht. Konservative Aktivisten nennen ihn einen "liberalen Rassisten" und werfen ihm vor, das Justizsystem politisiert zu haben. "Kein Justizminister hat das Land mehr gespalten als er", poltert der republikanische Abgeordnete Darrell Issa, der Holder seit längerem vorwirft, sein Amt missbraucht und Fehler in seinem Ministerium vertuscht zu haben.

Holder ließ Journalisten abhören und Whistleblower verfolgen

Für viele Liberale und vor allem für schwarze Aktivisten wie Mark Morial von der National Urban League ist und bleibt Holder eine Ikone: "Aus der Sicht von uns Bürgerrechtlern war er der beste Justizminister aller Zeiten". Dieses überschwängliche Lob überdeckt jedoch, dass es Holder in seiner sechsjährigen Amtszeit weder gelungen ist, das Gefangenenlager in Guantanamo zu schließen noch Bankmanager für deren Vergehen während der Finanzkrise vor Gericht zu stellen (stattdessen wurden Deals geschlossen, bei denen die Geldinstitute Milliarden-Strafen akzeptierten).

Dass er die Reaktion der Bush-Regierung auf die Terroranschläge von 9/11 und die Einschränkung der Bürgerrechte für überzogen hält, hat Holder stets deutlich gemacht. Allerdings hat er nach den Enthüllungen von Edward Snowden über die Datensammelwut der NSA und anderer Geheimdienste nicht für Mäßigung plädiert. Zudem verteidigte er die Entscheidung seines Ministeriums, die Telefone von Journalisten der Nachrichtenagentur AP abhören zu lassen (Details hier) sowie das harte Vorgehen gegen Whistleblower, das Nachahmer abschrecken soll.

Obama muss nun jemanden finden, der ähnlich gut mit der Bürgerrechtsbewegung vernetzt ist - und den schwarzen Amerikanern deutlich machen, dass der Präsident ihre Anliegen stärker unterstützt als er dies öffentlich sagen kann. Und dann gilt es natürlich, einen neuen Justizminister zu finden, der möglichst schnell nach den Kongresswahlen Anfang November vom Senat bestätigt werden soll. Hier ist aus Sicht der Demokraten Eile geboten, denn die Republikaner hoffen darauf, dort die Mehrheit zu erobern und Obama das Leben noch schwerer zu machen. Insofern musste der 63-jährige Holder, der im Frühjahr operiert wurde und gegenüber Vertrauten über die körperliche Belastung des Amts geklappt hatte, jetzt handeln, damit ein ihm ähnlich gesinnter Nachfolger benannt werden kann.

Einen letzten Wunsch hat Eric Holder seinem Freund im Weißen Haus noch erfüllt: Er wird solange im Amt bleiben, bis sein Nachfolger vom Senat bestätigt ist. Und bis dahin wird er weiterhin seine Meinung sagen - laut und deutlich.

Linktipps:

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: