Rücktritt von Müntefering:Die Angst vor dem Korsett

Kurt Beck wollte einen Wechsel in die Regierung aus strategischen Gründen vermeiden. Von Mainz aus kann er sich als Gegenpol zur mächtigen Kanzlerin profilieren.

Christoph Hickmann

Die Absage überraschte niemanden mehr, doch immerhin blieb die Form gewahrt. Man müsse die für 13.30 Uhr geplante Buchvorstellung leider "aus terminlichen Gründen" absagen, teilte der SPD-Landesverband Rheinland-Pfalz am frühen Dienstagnachmittag mit.

Kurt Beck

Kurt Beck.

(Foto: Foto: ap)

Da war zwar bereits öffentlich, dass Kurt Beck keinesfalls als Nachfolger Franz Münteferings nach Berlin wechseln würde, doch abkömmlich war er dort am Dienstag nicht - jedenfalls nicht, um in der Mainzer SPD-Landesgeschäftsstelle, Klarastraße 15a, das 152 Seiten starke Werk "60 Jahre Seit' an Seit'" über die Nachkriegsgeschichte der Sozialdemokratie an Rhein und Mosel vorzustellen. Der Termin sei auf Donnerstag verschoben, hieß es dazu. 13 Uhr, gleicher Ort.

Beck in Berlin statt in Rheinland-Pfalz - vorerst wird das also nicht zum Dauerzustand. Überrascht hat das im politischen Mainz kaum jemanden. Längst war auch dort bekannt, dass Beck einen Wechsel in die Bundesregierung vermeiden will, weil er fürchtet, sich dadurch strategisch zu schwächen. Einmal in das Korsett der Kabinettsdisziplin eingebunden, könnte er sich vor der Bundestagswahl 2009 nicht mehr als Gegenpol zur übermächtigen Kanzlerin aufbauen - so das Kalkül des SPD-Vorsitzenden.

Von Mainz aus lässt es sich dagegen gediegen poltern und mal diese, mal jene Forderung an die Union im Allgemeinen und Angela Merkel im Besonderen richten.

Bleibt er in seiner Landeshauptstadt, kann Beck zudem einen Zipfel öffentlicher Deutungshoheit in der Hand behalten. Zu beobachten war das etwa im Juni, als er das rheinland-pfälzische Partnerland Ruanda besuchte, während Merkel beim G-8-Gipfel in Heiligendamm die Mächtigen der Welt empfing.

Nachdem der Ministerpräsident dem Pressetross eine knappe Woche lang Entwicklungshilfe der rheinland-pfälzischen Art präsentiert hatte, nannte er dann die G-8-Ergebnisse zum Klimaschutz "Absichtserklärungen, keine Inhalte" und kritisierte die Kanzlerin: Er hätte "wesentlich mehr Einsatz" erwartet. Das verhallte zwar schnell, blieb aber eine hübsche Pointe, weil Beck es in Afrika sagte.

Die Angst vor dem Korsett

Dazu kommen weitere strategische Überlegungen. Bis heute hat Beck im Berliner Willy-Brandt-Haus keinen echten Vertrauten, wohingegen er in der Provinz auf die Loyalität jener zählen kann, die er selbst auf wichtigen Posten platziert hat. Da stört es nicht einmal, dass aus der SPD-Landtagsfraktion zunehmend die Klage zu hören ist, der beratungsresistente Regierungschef binde sie zu wenig ein. Ohne eine ernstzunehmende Opposition lässt es sich mit absoluter Mehrheit trotzdem souverän regieren.

Eben diese absolute Mehrheit ist ein Pfund, mit dem Beck auch bundesweit wuchern will. In keiner anderen Landeshauptstadt regiert die SPD allein und stellt in keinem weiteren westdeutschen Flächenland den Ministerpräsidenten. Beck gilt somit - zumal er ein strukturell konservatives Bundesland regiert - als einer der letzten Sozialdemokraten, die wissen, wie man Wahlen gewinnt.

Verließe er aber jetzt die Provinz, könnte die über Jahre aufgebaute Bastion schnell in sich zusammenfallen. Diese Gefahr ist noch einmal gewachsen, seitdem vor zwei Wochen öffentlich wurde, dass Becks Innenminister Karl Peter Bruch seinem Schwiegersohn einen Auftrag des Ministeriums für einen 180.000 Euro teuren Imagefilm verschafft hat - ohne Ausschreibung.

Bis dahin hatte der stellvertretende Ministerpräsident als möglicher Nachfolger für den Fall eines Beck-Wechsels vor 2009 gegolten: Der Mann ist 61 Jahre alt, kein Ehrgeizling und wäre somit ideal für den Übergang bis zur Landtagswahl 2011 gewesen.

Die Angst vor dem Korsett

Nun ist Bruch abgemeldet und die Hackordnung hinter Beck völlig offen. Mit dem Wirtschaftsminister und Beck-Vertrauten Hendrik Hering, der Bildungsministerin Doris Ahnen und Herings Schwager, dem Innen-Staatssekretär Roger Lewentz, drängeln sich dort mehrere Kandidaten.

Alle drei hätten bei einem plötzlichen Wechsel Becks das gleiche Problem: Im einst schwarzen Rheinland-Pfalz wird nicht SPD gewählt, sondern die Kurt-Beck-Partei. Um aber an die Popularität ihres Chefs heranzureichen, fehlt allen dreien noch das Format.

Und schließlich kann Beck auf den Stoiber-Effekt hoffen, sollte er 2009 gegen Angela Merkel verlieren: Nachdem Bayerns Ministerpräsident 2002 Gerhard Schröder unterlegen war, verpassten ihm die Wähler ein Jahr später mit der Zweidrittelmehrheit bei der Landtagswahl ein schönes Trostpflaster. Kurt Beck dürfte das noch sehr bewusst sein.

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